Kardinal Karl August Reisach wendet sich mit der Bitte an Leo Thun, die Ernennung eines neuen Rektors für die Kirche Santa Maria dell' Anima in Rom zu beschleunigen. Auf Drängen von Kardinal Othmar Rauscher habe er, als Protektor der Kirche, bereits einen Personalvorschlag gemacht. Er merkt aber an, dass er dabei keine Rücksicht auf Österreicher nehmen konnte, weil er den österreichischen Klerus nicht kenne. Der von ihm vorgeschlagene, aber nicht genannte Kandidat besitze alle notwendigen Eigenschaften. In diesem Zusammenhang äußert sich Kardinal Reisach auch über das problematische Verhältnis von Protektor und Rektor der Kirche. Er hofft jedoch, dass ihm sein Vorschlag nicht verübelt werde, da er nur im Interesse der Anima handelte.
Euer Exzellenz!1
Werden mir erlauben, daß ich als Protector des deutschen Hospitiums St. Maria de
Anima mich mit der Bitte an HochSie wende, die Ernennung des neuen Rectors so
viel möglich zu beschleunigen. Euer Exzellenz werden wohl von Seiner Eminenz
Herrn Kardinal Rauscher vernommen
haben, daß ich auf sein Begehren einen Personalvorschlag gemacht habe, bei
welchem ich freilich keine Rücksicht auf geborene Östreicher nehmen konnte, weil
ich auch nicht die geringste Kenntnis von dem östreichischen Clerus habe. Ich
ließ mich dabei einzig von der Überzeugung bestimmen, daß der von mir Benannte
alle jene Eigenschaften besitzt, welche mir für die Stelle nothwendig scheinen,
und es mir, der ich ihn vollkommen kenne, erleichtern würde, für das Gedeih der
ganz neu zu gründenden Anstalt mein Möglichstes zu thun. Bei den hiesigen
Verhältnissen hängt dieses Gedeihen hauptsächlich davon ab, daß zwischen den
Obern der Anstalt ein vollkommenes Einverständnis in Ansichten und Handeln
bestehe und gegenseitiges Vertrauen stattfinde. Die Stellung eines Protectors
wird nicht nur eine höchst schwierige, sondern gar leicht eine hemmende oder
schädliche, wenn er sich nicht ganz auf die Person verlaßen kann, welcher die
unmittelbare Leitung der Anstalt übertragen ist. Deshalb wird man es mir nicht
verübeln, daß ich bezüglich des ersten Rectors des unter mir zu einem neuen
Leben zu erweckenden Institutes meine Wünsche ausgesprochen habe und dabei
meiner persönlichen Kenntnis von den Eigenschaften einer Person gefolgt bin,
welche mir so lange Jahre nahe stand, in deren kluges, thätiges im höchsten
Grade uneigennütziges und allein das Wohl der ihr anvertrauten Anstalt
verfolgendes Wirken mich selbst in meiner bischöflichen Thätigkeit auf’s
kräftigste unterstützt hat. Ich bin weit entfernt zu glauben, daß sich in dem so
zahlreichen Clerus von Oestreich nicht
Männer finden, welche dieselben Eigenschaften besitzen. Ich kenne sie nicht und
werde daher auch keineswegs fordern können, daß man nur auf meinen Wunsch Rücksicht
nehme. Einer so erleuchteten Regierung aber, welche gerade bezüglich der Anima
gezeigt hat, daß sie allein das Wohl der Kirche in dem gesammten
Deutschland ein Auge habe, glaubte ich ungescheut einen
Vorschlag machen zu können, durch dessen Berücksichtigung jeder Schein entfernt
würde, als sollte die Anima nur blos östreichisches Institut sein. Seit langen
Jahren mit den römischen und den deutschen Verhältnissen aus eigener Erfahrung
vertraut glaube ich die Eigenschaften wohl ermessen zu können, welche der zu
ernennende Rector besitzen muß; ich glaubte sie in der von mir benannten Person
vereinigt zu finden und deshalb habe ich dieselbe vorgeschlagen.
Es drängte
mich, Euer Exzellenz mit aller Offenheit den Sachverhalt darzulegen und HochSie zu
versichern, daß ich mit vollkommenem Vertrauen in die Weisheit Seiner kaiserlichen Majestät und seiner
Rathgeber einer Entscheidung entgegensehe.
Genehmigen Euer Exzellenz die
Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe mich
zu nennen
Euer Exzellenz
ganz ergebenster
K. A. Kard. v. Reisach
Rom, den 24. Mai 1859