Leo Thun bittet den Historiker Václav Tomek, die Publikation eines Aufsatzes in der Zeitschrift des Vaterländischen Museums in Böhmen so lange zu verschieben, bis Thun mit ihm ausführlich darüber gesprochen hat. Thun ist überzeugt, dass der Aufsatz nur Öl in das Feuer der nationalen Auseinandersetzungen gießen wird, weil er in der vorliegenden Form sicherlich falsch verstanden werden wird. Thun unterstützt jedoch den Inhalt des Aufsatzes und die Ansichten von Tomek. Thun glaubt auch, dass Tomek in seinem Eifer vielleicht über das Ziel hinausgeschossen ist und dass er Feinde sieht, wo es gar keine gibt.
Wien den 12. Mai
Werther Herr Professor!
Helfert hat mir Ihr
umständliches Schreiben vom 30. v. M. mitgetheilt. Morgen ist der Termin bis zu
welchem Sie eine Antwort nöthig haben. So müssen denn heute diese Zeilen
abgehen, obgleich ich wieder nicht die nöthige Muse, um ihnen so überlegt zu
schreiben, als es in meinem Wunsche läge. Ich werde eben thun was ich
kann.
Sie wünschen den bewußten Aufsatz in den čas[opis]. mus[eum].
einzurücken. Sie bedürfen dazu meiner Erlaubnis nicht; ich will Sie Ihnen aber
auch nicht verweigern. Mehr noch. Ich finde den Aufsatz im Herzen sehr gut; ich
habe ihn mit wahrer Freude gelesen, ich bin überzeugt, daß er namentlich in
Böhmen heilsam wirken wird. Ich muß daher
wünschen ihn gedruckt zu sehen; in je mehr Sprachen desto besser, gleichwohl
wenn ich von meinen Wünschen reden soll, muß ich sagen: ich wünsche nicht, daß
er genau so, wie ich ihn gelesen habe, sondern, daß er mit einigen Änderungen
und Zusätzen gedruckt werde, und zwar 1. weil ich glaube, daß er dadurch noch
besser werden würde, als er schon ist, 2. weil dadurch einer Problematik
vorgebeugt würde, die mir durchaus unerwünscht scheint. Darüber möchte ich mich
deutlicher aussprechen.
Sie haben allerdings Recht, wenn Sie sagen, es gebe
eine Parthei, welche die Einheit und Macht Österreichs mit der Herrschaft des deutschen Stammes über alle
andere identifiziert und die Österreich nur
betrachtet jako velikého Německa. Sie haben so recht, wenn Sie sagen: Nicht wir,
sondern jene Leute sind eine nazionale Parthei. – Hingegen ist es eben so wahr,
daß dieser nazionalen Parthei andere nazionale Partheien entgegenstehen. Ferner,
daß jene wenigstens, wenn auch auf ihrem Wege, doch Österreich erhalten und mächtig wissen will, während die anderen
bisher zu Tage getretenen nazionalen Partheien nicht gezeigt haben, daß sie das
wollen. Wahr ist es endlich, daß diejenigen, die denken wie wir, d. i. die
österreichisch und deutsch nicht identifiziert wissen wollen, die ohne nazionale
Vorutheile eben doch Österreich mächtig
wissen wollen, die das mit voller Aufrichtigkeit wollen, d.i. sodaß sie bereit
sind, auch alle dazu nothwendigen Bedingungen zu wollen, noch sehr wenige sind,
daß ferner unsere Auffassung der Sache noch ziemlich neu und den wenigsten
Menschen verständlich ist. Sie verständlich machen, ist nun eben Ihr Wunsch, den
ich von Herzen theile. Soll es gelingen, so müssten wir mit großer Vorsicht zu
vermeiden suchen, daß man an unserer aufrichtig österreichischen Gesinnung in
Zweifel ziehen und uns mit anderen Gegnern der deutsch-nazionalen Partheien
verwechseln könne. Die Gefahr dessen ist in der Natur der Sache gegründet, und
der Verdacht oder wenigstens Zweifel über unsere Gesinnung kann optima fede von
Leuten gehegt werden, die noch keineswegs zu jener deutsch-nazionalen Partei
gehören. Ich bin nun in der That der Ansicht, daß Ihr Aufsatz zu jenem Zweifel
einen Anlaß gibt; nicht sowohl durch das was er sagt, als vielmehr daß er sich
über einiges nicht ausspricht und deshalb im Zweifel läßt, ob es nicht deshalb
geschehe, weil hinter der Lücke eine unösterreichische Ansicht stand. Es ist mir
leider wegen Mangel an Zeit nicht möglich, mich hierüber schriftlich umständlich
auszusprechen, und es will mir scheinen, daß Helfert, als er es that, meine
Gedanken dabei nicht ganz aufgefasst hat. Ich sehne mich aber dennoch mit Ihnen
darüber zu sprechen, weil ich an einer Verständigung nicht zweifeln kann. Auf
diese lege ich aber großen Werth, denn es will mir scheinen, daß es davon
abhängen werde, ob Sie mit Ihren Ansichten auf friedlichem Wege, den allein ich
wünschen kann, durchdringen werden oder ob Sie sofort Gegenstand einer die ganze
Sache vergiftenden und daher ihren heilsamen Einfluß vom Anfang an lähmende
Polemik werden wird. Es ist mir leid genug, daß v. J. in meiner Abwesenheit
damit der Anfang gemacht wurde! Ich wünsche diese Verständigung um so mehr, als
ich aufrichtig gestehe: ich besorge, die schon begonnene Polemik vergiftet ihr
eigenes Gemüth oder stört wenigstens jene Ruhe, die zu einem unbefangenen
Urtheil und zu besonnener Durchführung bedeutender Ideen unerlässlich nothwendig
ist.
Ich glaube in der That, Sie sehen schon jetzt partheiische Gegner in
Männern, die es wirklich nicht sind, und sind in großer Gefahr dem ungegründeten
Misstrauen, daß sich gegen Sie geltend macht auch wieder gegen Andere Raum zu
geben und das wäre mir außerordentlich leid, weil es Ihre eigene Haltung
gefährden müsste. Mein Wunsch wäre also allerdings, Sie warteten noch mit der
Publikation Ihres Aufsatzes, bis wir uns einmal darüber ausgesprochen haben.
Inzwischen würde ich gern – wenn es Ihnen recht ist – Jirecek zu unserem Zwischenträger machen. Er
könnte die Briefe, die bereits an Sie in der Sache geschrieben wurden (diesen
inclusive), so wie die von Ihnen geschriebenen, studieren, mit mir diskutieren,
und Ihre Schreiben nach Umständen mit Ihnen sprechen, bis Sie mich etwa in den
Vakanzen wieder besuchen, wo ich auch über das Schulbuch sehr
mit Ihnen zu sprechen wünsche.
Mit aufrichtiger Hochachtung
Thun