Der provisorische Rektor der Universität Pest, Anton Virozsil, beschwert sich über eine Überprüfung der Universitätskonten durch die Statthalterei, die durchgeführt wurde, ohne ihn als Rektor davon informiert zu haben. Virozsil sieht in dieser tumultartigen Untersuchung eine Denunziation seiner Person als Rektor und eine Untergrabung seiner Autorität. Er betont, dass er bei Reorganisation der Universität 1849 nicht freiwillig den Rektorsposten übernommen hatte, sondern förmlich dazu genötigt worden war. Er hat das Unterrichtsministerium daher bereits mehrfach gebeten, bei vollständig beendeter Reorganisation der Universität, seines Postens enthoben zu werden. Diesem Wunsch wurde bisher nicht entsprochen. Aus diesem Grund wendet er sich an Thun, um die Bitte nochmals zu wiederholen. Virozsil möchte die ihm verbleibende Zeit dem akademischen Lehramt – besonders dem deutschen Element an der Universität – sowie seiner Familie widmen. Er wünscht aber eine geordnete Übergabe aller ihm anvertrauten Angelegenheiten und schlägt daher vor, dies mit Ministerialrat Eduard Tomaschek zu besprechen.
Excellenz!
Obschon ich mich ordentlich verlegen fühle Euer Excellenz mit meinen in der
letztern Zeit etwas häufigern Privatberichten und Bitten so oft ungelegen zu
sein, so sehe ich mich dennoch genöthigt, im Nachtrage zu meinem letzten vom 9.
dieses Monats erstatteten Bericht noch einige Mittheilungen hier folgen zu
lassen, die zu Euer Excellenz Kenntnis zu bringen ich für meine unerläßliche
Pflicht erachte.
Ich habe in dem oben erwähnten Berichte Euer Excellenz die
an sich so unbedeutende, ja beinahe lächerliche Denunciation unseres
medicinischen Decans in Betreff der von unserer
Universität seit 70 Jahren nach allerhöchsten Anordnung amtlich
gebrauchten Benennung: K. Scient. Univ. Hung. oder k.k. ung.
Landesuniversität mitgetheilt, worüber dem akademischen Senate eine
Rechtfertigung, nebst Vorlage der Originalurkunde unserer Universität, durch die Ofner Statthaltereiabtheilung im Namen des Militär-
und Civilgouvernements für Ungarn abverlangt wurde. Wir
leisteten diesem Befehle volle Genüge und ich würde die ganze Sache nach der
doppelten Abfertigung derselben in unserm Sitzungsprotocolle keiner weitern
Beachtung Werth gefunden haben, wenn ich nicht bereits früher wahrgenommen
hätte, daß jene Denunciation sich doch nicht auf eine solche Albernheit allein
beschränken, vielmehr auf ernstlichere Gegenstände, die
eigentlich mich und meine öffentliche
Amtsführung als Rector der Universität näher
angehen, er erstrecken dürfte. Und meine Vermuthung fand bald volle
Bestättigung. Am 23. dieses Monats früh morgens, als ich wie gewöhnlich in die
Universitätskanzlei kam, fand ich da bereits den Statthaltereirath
Madarassy
mit 2
Individuen der Statthaltereibuchhaltung, der mir den Erlaß des Vicepräsidenten
der Ofner Statthaltereiabtheilung zustellte.
Worin es hieß: „Derselbe habe für nöthig befunden, eine
Revision der seit längerer Zeit nicht scontrirten Universitätsmanual- und aller
sonstigen Nebencassen vornehmen zu lassen und mit diesem
Act den Statthaltereirath Madarassy
unter Mitwirkung des nöthigen Buchhaltereipersonals zu betrauen, dem folglich
unsere Rechnungsbeamten pünktlich in allem Folge zu leisten hätten und der
zugleich beauftragt wäre, das Ergebnis der Visitation unter Vorlage der
Visitationsinstrumente höhern Orts zu berichten etc.“ Ich erwiderte hierauf blos
kurz, daß es zwar einigermaßen befremdend wäre diesen Act
ohne das mindeste frühere Einvernehmen des
Universitätsrectors, zu dessen Befugnissen und Pflichten die Anordnung einer solchen Visitation ausschließend gehöre, und gerade jetzt, wo die
Quästur von den bereits abreisenden Studirenden förmlich belagert sei (wie der
Augenschein und die Menge der die Kanzlei füllenden Studenten bezeugen),
vorzunehmen. Wo ich doch selbst bereits Anordnungen getroffen habe, um in der
nächsten Sitzung des akademischen Senats am Schlusse des Studienjahres die
Modalität einer vollständigen und genauen
Visitation nicht nur der Cassen, sondern unserer sämtlichen Institute zu berathen und vornehmen zu lassen. So
bliebe dennoch unter den gegenwärtigen Umständen, um jede weitere Verdächtigung und jedem noch größeren Aufsehen vorzubeugen,
nichts übrig, als dem erhaltenen Befehle Folge zu leisten. Ich wies daher die
Kanzleibeamten an, alle übrigen auch die jetzt dringendsten Quästurgeschäfte bei
Seite zu legen und der Commission, zu welcher noch die Prof.
Degen
,
Gebhard
und später
Jedlik
von Seite
der Universität beigezogen wurden,
pünktlich über alles Rechenschaft zu legen. Bis 1/2 11 Uhr wurden die Diarien
und Rechnungen durchgesehen und abgeschlossen, dann der effective Cassabestand zuerst der Universitätsmanualhauptcasse, dann der übrigen Fundational- und Depositencassen, endlich sogar der active
Cassabestand der bisher eingehobenen Collegien- und Matrikelgelder bis zur Stunde der stattgefundenen Visitation
untersucht und in Hinsicht der erstere bis auf den Heller im
Baren in Betreff der letztere ebenfalls richtig, doch mit Belegen von Interimsquittungen
der Professoren über bereits theilweise erhobene Collegiengelder, mit Quittungen
über bereits an die Stifthauptcassa in Ofen
abgeführte 5/100igen Beträge und über den Rest der übrigen
noch nicht verrechneten Gelder, insofern sie nicht im
Baren in der Cassa waren, mit Belegen von mehreren Sparcassabüchlein documentirt und sichergestellt befunden, indem der
Quästor bei Anhäufung größerer Summen – zu seiner eigenen größeren Sicherheit – einen Theil davon in die nahe
Pester Sparcassa
deponirte sowie auch ich einen Teil der nächstzuvertheilenden Matrikelgelder einstweilen zu mir in Verwahrung
nahm, um jede weitere Confusion dieser Gelder mit den übrigen Fonden und Cassen,
dergleichen schon einmahl während meiner Krankheit unter
Prof.
Degens
Stellvertretung stattgefunden, künftig vorzubeugen (daher meine so oft bereits
an das hohe Unterrichtsministerium wiederholten Bitten über die Vertheilung der Matrikelgelder einmal definitive zu verfügen, um auch diesen Theil der Rechnungen einmahl
vollends in Ordnung zu bringen). Gegen 2 Uhr nachmittags war
die ganze Untersuchung zu Ende, über die ich vor der Hand keine Beschwerde
weiter, außer der bereits oben erwähnten, zu führen habe, als daß sie so tumultuarisch, ohne alles confidentielle
frühere Einvernehmen des Rectors, der doch seit 1849 ohne den akademischen Senat allein für alles mit seiner Person und Habe verantwortlich ist, und dann gerade zu dieser
Zeit, wo der Quästor von allen Seiten am meisten in
Anspruch genommen wird, vorgenommen wurde. Das erste zeigt, daß diese Visitation
blos infolge einer Denunciation, und zwar eigentlich gegen
mich, der ich doch kein Cassabeamter bin, angeordnet war. Das
andere, daß man den um diese Zeit ohnehin von allen Seiten in
Anspruch genommenen Quästor ohne alle Rücksicht und Schonung behandelt, vielleicht mit Absicht völlig confus
machen oder irgendeines geheimen Einverständnisses mit mir
und einiger Unterschleife schuldig finden wollte. Beides hat
sich als unstatthaft erwiesen, würde sich aber noch evidenter
herausgestellt haben, wenn mir Zeit gelassen worden wäre, die von mir
beabsichtigte Visitation sämtlicher Universitätsinstitute
während der Ferien mit den von mir zu beantragenden
Modalitäten in Ausführung zu bringen, da ich doch wohl am
Besten imstande wäre anzugeben, was bei unsern sämtlichen
Angelegenheiten, also auch der Gebahrung der Cassen und Fonden, zum Wohle unserer Anstalt noch besser einzurichten,
zu ordnen oder wenigsten zu wünschen wäre? Jetzt überlasse
ich diese Sorge bereitwillig jener Behörde, die sich der Sache so
warm und ohne mich im Mindesten hierüber zu befragen, angenommen hat. Wäre Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog Gouverneur
hier, so hätte ich ohne weiteres
ihm den ganzen Verlauf der Sache sammt den geheimen
Triebfedern, die derselben zugrunde liegen, offenbart und seiner
Entscheidung anheimgestellt, ob bei diesem Verfahren ein Mann
von Ehre einem solchen Vertrauensposten
noch vorstehen könne? Habe ich mich vor 4 Jahren, als es sich um die
Rehabilitirung der hiesigen
Universität unter bedenklichen Umständen
handelte, der Regierung für diesen Posten angetragen? Bin ich nicht vielmehr gegen meinen Willen genöthigt worden, ihn einstweilen nur bis zu der völligen Coordination der Universität anzunehmen? Habe ich nicht von
Jahr zu Jahr, bald allein, bald mit dem akademischen Senate vereint, das hohe
Unterrichtsministerium stets gebethen den Zeitpunkt unserer definitiven Organisation und hiemit auch unserer Enthebung von dem gegenwärtigen Posten möglichst zu beschleunigen? Konnte ich es wissen oder auch nur vermuthen,
daß wir einmahl von Ehrgeitzigen, die sich nur wichtig machen
wollen, sogar in Hinsicht unserer politisch loyalen Gesinnung
verdächtigt werden und daß dergleichen
Verdächtigungen höhern Ortes mehr Glauben finden sollten als
die in den bedenklichsten Umständen mit dem Vertrauen der Regierung betrauten
und öffentlich angestellten Organe derselben?
Da dem nun
aber einmahl so ist, und ich für meine Person unter diesen Umständen nicht nur keine Stütze,
keine Anerkennung meiner bisherigen Bemühungen irgendwo zu gewärtigen, sondern
nicht einmahl die Hoffnung habe unter diesen fortwährenden Verdächtigungen
irgendetwas Gutes zum Besten unserer Anstalt als deren
Vorstand ferner wirken zu können, im Gegentheil, da mein Abtreten längst in dem Wunsche und der Absicht einer gewißen Parthei
lag, die unlängst etwas unsanft in ihren Illusionen und
Plänen gestört, unter andern auch mich im Verdacht haben mag
durch geheime Insinuationen etwas dazu beigetragen zu haben,
so bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als zu Euer Excellenz meine letzte
Zuflucht zu nehmen und die bereits in meinem frühern Schreiben vorgebrachten Bitten, so inständig als möglich, hiemit nochmals zu wiederhohlen, jene
Maßregeln, die uns bereits mit dem Schlusse dieses
Studienjahres zugesichert wurden, möglichst zu beschleunigen, wodurch der bisher provisorisch
fungirende akademische Senat oder wenigstens ich,
den die in der letzten Zeit bei uns vorgefallenen Dinge vorzugsweise, wo nicht allein betreffen eines
Postens enthoben werde, dem ich ferner mit Ehren vorzustehen
mich weder fähig noch geneigt fühle. Ich
habe bisher alle zu auffallenden Schritte, die im Lande
unnöthiges Aufsehen erregen könnten, als eine totale oder partielle Resignation des akademischen
Senats stets zu vermeiden gesucht, daher wünsche ich auch diesmahl,
wenn dem hohen Unterrichtsministerium
noch nicht genehm wäre, die von uns seit Jahren schon
erbethene freie Wahl der akademischen Behörden für das nächste Studienjahr an uns anzuordnen, mein Begehren blos auf meine Person zu beschränken und mir einen Nachfolger im Rectoramte zu bestimmen. Ich
bin wahrlich nicht so eitel, um zu glauben, daß meine Person
in dieser Hinsicht unersetzlich wäre, bin vielmehr überzeugt,
daß dieselbe leicht durch jeden der emeritirten Rectoren, ja
auch durch jüngere Mitglieder des Universitätslehrkörpers
ersetzt werden könne. Ich setze mich über alle Nachreden, die
mein alleiniges Abtreten im Publicum verursachen kann, und
jede Empfindlichkeit hierüber hinaus, mögen sogar meine Gegner oder Denuncianten
glauben, dies wäre einzig und allein ihr
Werk. Ich gönne ihnen den Triumph, ich verlange für mich keine
Auszeichnung (denn unmäßiger Ehrgeitz war – Gottlob! – meine
schwache Seite nie), ich verlange
weiter nichts als Ruhe, um die noch übrige Zeit meines Lebens
mehr meiner Familie und solange es noch geht auch meinem akademischen Lehramte, wo ich noch besonders in Hinsicht des
deutschen Elementes an unserer Universität noch etwas
nützen kann, widmen zu können. Aber mein Rücktritt von dem bisher
behaupteten Ehrenposten soll auch in der Ordnung und mit Ehren erfolgen, wozu eine möglichst geordnete
Übergabe aller mir bisher anvertrauten Angelegenheiten gehört, daher
meine nochmals wiederhohlte Bitte um ein definitives Normale
über die vor meinem Abtreten noch zu bewerkstelligende
Vertheilung der bisher eingegangenen Matrikelgelder.
Alles Übrige, was zur definitiven Coordinirung unserer
Universität noch erfordert werden
könnte, dürfte eine einzige confidentielle Conferenz mit
Herrn Ministerialrath von
Tomaschek
vollends ins Klare bringen. Da mir aber in
Ermangelung der bisher vergebens angesprochenen und gehofften
Functionsgebühr keine Privatmittel zu
Gebote stehen, um zu einer solchen mündlichen Conferenz oder
Berichterstattung eine Excursion nach Wien zu
unternehmen, so müßte solche, im Fall einige Aufschlüsse von mir gewünscht werden sollten, nun im Wege einer schriftlichen Mittheilung stattfinden, zu der die bevorstehende
Ferienzeit wohl der passendste Zeitpunkt wäre. Ich bin dazu jeden Augenblick
bereit. Doch dürften auch jene meiner Collegen, die während der Ferien
Wien berühren und bei der Gelegenheit gewöhnlich auch
Euer Excellenz ihre Aufwartung zu machen pflegen, über manches nähere Auskunft geben, was über die Angelegenheiten unserer Universität oben zu wissen gut wäre. Nur muß ich bei dieser Gelegenheit zugleich erwähnen, daß
die bereits vor einigen Wochen für die Herren
Vizkelety
und
Tognio
(wozu eben noch das
Gesuch des theologischen Decans hinzukommt) erbethene Urlaubsbewilligung für die schon nahe
bevorstehenden Ferien von dem hohen Unterrichtsministerium
noch nicht angekommen sei, die doch von den Recurrenten sehnlichst erwartet wird.
Endlich erlaube ich mir noch
zum Schlusse ergebenst zu bemerken, daß ich mich durch diese vorläufige confidentielle Mittheilung, unter Euer Excellenz stillschweigender Billigung, für hinlänglich berechtigt
halte, noch während des Verlaufs der bevorstehenden Ferien auf officiellem Wege um meine Enthebung von dem bisher geführten Rectoramte einkommen zu dürfen, ohne befürchten zu müssen diesen
meinen Schritt auf irgendeine Art mißdeutet zu sehen, der ich
übrigens, nebst meinen frühern und oben erwähnten Bitten, auch die Versicherung
der tiefsten und aufrichtigsten Verehrung und Ergebenheit wiederholend, in aller
Ehrfurcht verharre
Euer Excellenz
ergebenst gehorsamer Diener
Ant. Virozsil
Ofen, den 27. Juli 1853