Anton Virozsil an Leo Thun
Ofen, 27. Juli 1853
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Regest

Der provisorische Rektor der Universität Pest, Anton Virozsil, beschwert sich über eine Überprüfung der Universitätskonten durch die Statthalterei, die durchgeführt wurde, ohne ihn als Rektor davon informiert zu haben. Virozsil sieht in dieser tumultartigen Untersuchung eine Denunziation seiner Person als Rektor und eine Untergrabung seiner Autorität. Er betont, dass er bei Reorganisation der Universität 1849 nicht freiwillig den Rektorsposten übernommen hatte, sondern förmlich dazu genötigt worden war. Er hat das Unterrichtsministerium daher bereits mehrfach gebeten, bei vollständig beendeter Reorganisation der Universität, seines Postens enthoben zu werden. Diesem Wunsch wurde bisher nicht entsprochen. Aus diesem Grund wendet er sich an Thun, um die Bitte nochmals zu wiederholen. Virozsil möchte die ihm verbleibende Zeit dem akademischen Lehramt – besonders dem deutschen Element an der Universität – sowie seiner Familie widmen. Er wünscht aber eine geordnete Übergabe aller ihm anvertrauten Angelegenheiten und schlägt daher vor, dies mit Ministerialrat Eduard Tomaschek zu besprechen.

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Schlagworte

Edierter Text

Excellenz!

Obschon ich mich ordentlich verlegen fühle Euer Excellenz mit meinen in der letztern Zeit etwas häufigern Privatberichten und Bitten so oft ungelegen zu sein, so sehe ich mich dennoch genöthigt, im Nachtrage zu meinem letzten vom 9. dieses Monats erstatteten Bericht noch einige Mittheilungen hier folgen zu lassen, die zu Euer Excellenz Kenntnis zu bringen ich für meine unerläßliche Pflicht erachte.
Ich habe in dem oben erwähnten Berichte Euer Excellenz die an sich so unbedeutende, ja beinahe lächerliche Denunciation unseres medicinischen Decans in Betreff der von unserer Universität seit 70 Jahren nach allerhöchsten Anordnung amtlich gebrauchten Benennung: K. Scient. Univ. Hung. oder k.k. ung. Landesuniversität mitgetheilt, worüber dem akademischen Senate eine Rechtfertigung, nebst Vorlage der Originalurkunde unserer Universität, durch die Ofner Statthaltereiabtheilung im Namen des Militär- und Civilgouvernements für Ungarn abverlangt wurde. Wir leisteten diesem Befehle volle Genüge und ich würde die ganze Sache nach der doppelten Abfertigung derselben in unserm Sitzungsprotocolle keiner weitern Beachtung Werth gefunden haben, wenn ich nicht bereits früher wahrgenommen hätte, daß jene Denunciation sich doch nicht auf eine solche Albernheit allein beschränken, vielmehr auf ernstlichere Gegenstände, die eigentlich mich und meine öffentliche Amtsführung als Rector der Universität näher angehen, er erstrecken dürfte. Und meine Vermuthung fand bald volle Bestättigung. Am 23. dieses Monats früh morgens, als ich wie gewöhnlich in die Universitätskanzlei kam, fand ich da bereits den Statthaltereirath Madarassy mit 2 Individuen der Statthaltereibuchhaltung, der mir den Erlaß des Vicepräsidenten der Ofner Statthaltereiabtheilung zustellte. Worin es hieß: „Derselbe habe für nöthig befunden, eine Revision der seit längerer Zeit nicht scontrirten Universitätsmanual- und aller sonstigen Nebencassen vornehmen zu lassen und mit diesem Act den Statthaltereirath Madarassy unter Mitwirkung des nöthigen Buchhaltereipersonals zu betrauen, dem folglich unsere Rechnungsbeamten pünktlich in allem Folge zu leisten hätten und der zugleich beauftragt wäre, das Ergebnis der Visitation unter Vorlage der Visitationsinstrumente höhern Orts zu berichten etc.“ Ich erwiderte hierauf blos kurz, daß es zwar einigermaßen befremdend wäre diesen Act ohne das mindeste frühere Einvernehmen des Universitätsrectors, zu dessen Befugnissen und Pflichten die Anordnung einer solchen Visitation ausschließend gehöre, und gerade jetzt, wo die Quästur von den bereits abreisenden Studirenden förmlich belagert sei (wie der Augenschein und die Menge der die Kanzlei füllenden Studenten bezeugen), vorzunehmen. Wo ich doch selbst bereits Anordnungen getroffen habe, um in der nächsten Sitzung des akademischen Senats am Schlusse des Studienjahres die Modalität einer vollständigen und genauen Visitation nicht nur der Cassen, sondern unserer sämtlichen Institute zu berathen und vornehmen zu lassen. So bliebe dennoch unter den gegenwärtigen Umständen, um jede weitere Verdächtigung und jedem noch größeren Aufsehen vorzubeugen, nichts übrig, als dem erhaltenen Befehle Folge zu leisten. Ich wies daher die Kanzleibeamten an, alle übrigen auch die jetzt dringendsten Quästurgeschäfte bei Seite zu legen und der Commission, zu welcher noch die Prof. Degen , Gebhard und später Jedlik von Seite der Universität beigezogen wurden, pünktlich über alles Rechenschaft zu legen. Bis 1/2 11 Uhr wurden die Diarien und Rechnungen durchgesehen und abgeschlossen, dann der effective Cassabestand zuerst der Universitätsmanualhauptcasse, dann der übrigen Fundational- und Depositencassen, endlich sogar der active Cassabestand der bisher eingehobenen Collegien- und Matrikelgelder bis zur Stunde der stattgefundenen Visitation untersucht und in Hinsicht der erstere bis auf den Heller im Baren in Betreff der letztere ebenfalls richtig, doch mit Belegen von Interimsquittungen der Professoren über bereits theilweise erhobene Collegiengelder, mit Quittungen über bereits an die Stifthauptcassa in Ofen abgeführte 5/100igen Beträge und über den Rest der übrigen noch nicht verrechneten Gelder, insofern sie nicht im Baren in der Cassa waren, mit Belegen von mehreren Sparcassabüchlein documentirt und sichergestellt befunden, indem der Quästor bei Anhäufung größerer Summen – zu seiner eigenen größeren Sicherheit – einen Theil davon in die nahe Pester Sparcassa deponirte sowie auch ich einen Teil der nächstzuvertheilenden Matrikelgelder einstweilen zu mir in Verwahrung nahm, um jede weitere Confusion dieser Gelder mit den übrigen Fonden und Cassen, dergleichen schon einmahl während meiner Krankheit unter Prof. Degens Stellvertretung stattgefunden, künftig vorzubeugen (daher meine so oft bereits an das hohe Unterrichtsministerium wiederholten Bitten über die Vertheilung der Matrikelgelder einmal definitive zu verfügen, um auch diesen Theil der Rechnungen einmahl vollends in Ordnung zu bringen). Gegen 2 Uhr nachmittags war die ganze Untersuchung zu Ende, über die ich vor der Hand keine Beschwerde weiter, außer der bereits oben erwähnten, zu führen habe, als daß sie so tumultuarisch, ohne alles confidentielle frühere Einvernehmen des Rectors, der doch seit 1849 ohne den akademischen Senat allein für alles mit seiner Person und Habe verantwortlich ist, und dann gerade zu dieser Zeit, wo der Quästor von allen Seiten am meisten in Anspruch genommen wird, vorgenommen wurde. Das erste zeigt, daß diese Visitation blos infolge einer Denunciation, und zwar eigentlich gegen mich, der ich doch kein Cassabeamter bin, angeordnet war. Das andere, daß man den um diese Zeit ohnehin von allen Seiten in Anspruch genommenen Quästor ohne alle Rücksicht und Schonung behandelt, vielleicht mit Absicht völlig confus machen oder irgendeines geheimen Einverständnisses mit mir und einiger Unterschleife schuldig finden wollte. Beides hat sich als unstatthaft erwiesen, würde sich aber noch evidenter herausgestellt haben, wenn mir Zeit gelassen worden wäre, die von mir beabsichtigte Visitation sämtlicher Universitätsinstitute während der Ferien mit den von mir zu beantragenden Modalitäten in Ausführung zu bringen, da ich doch wohl am Besten imstande wäre anzugeben, was bei unsern sämtlichen Angelegenheiten, also auch der Gebahrung der Cassen und Fonden, zum Wohle unserer Anstalt noch besser einzurichten, zu ordnen oder wenigsten zu wünschen wäre? Jetzt überlasse ich diese Sorge bereitwillig jener Behörde, die sich der Sache so warm und ohne mich im Mindesten hierüber zu befragen, angenommen hat. Wäre Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog Gouverneur hier, so hätte ich ohne weiteres ihm den ganzen Verlauf der Sache sammt den geheimen Triebfedern, die derselben zugrunde liegen, offenbart und seiner Entscheidung anheimgestellt, ob bei diesem Verfahren ein Mann von Ehre einem solchen Vertrauensposten noch vorstehen könne? Habe ich mich vor 4 Jahren, als es sich um die Rehabilitirung der hiesigen Universität unter bedenklichen Umständen handelte, der Regierung für diesen Posten angetragen? Bin ich nicht vielmehr gegen meinen Willen genöthigt worden, ihn einstweilen nur bis zu der völligen Coordination der Universität anzunehmen? Habe ich nicht von Jahr zu Jahr, bald allein, bald mit dem akademischen Senate vereint, das hohe Unterrichtsministerium stets gebethen den Zeitpunkt unserer definitiven Organisation und hiemit auch unserer Enthebung von dem gegenwärtigen Posten möglichst zu beschleunigen? Konnte ich es wissen oder auch nur vermuthen, daß wir einmahl von Ehrgeitzigen, die sich nur wichtig machen wollen, sogar in Hinsicht unserer politisch loyalen Gesinnung verdächtigt werden und daß dergleichen Verdächtigungen höhern Ortes mehr Glauben finden sollten als die in den bedenklichsten Umständen mit dem Vertrauen der Regierung betrauten und öffentlich angestellten Organe derselben?
Da dem nun aber einmahl so ist, und ich für meine Person unter diesen Umständen nicht nur keine Stütze, keine Anerkennung meiner bisherigen Bemühungen irgendwo zu gewärtigen, sondern nicht einmahl die Hoffnung habe unter diesen fortwährenden Verdächtigungen irgendetwas Gutes zum Besten unserer Anstalt als deren Vorstand ferner wirken zu können, im Gegentheil, da mein Abtreten längst in dem Wunsche und der Absicht einer gewißen Parthei lag, die unlängst etwas unsanft in ihren Illusionen und Plänen gestört, unter andern auch mich im Verdacht haben mag durch geheime Insinuationen etwas dazu beigetragen zu haben, so bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als zu Euer Excellenz meine letzte Zuflucht zu nehmen und die bereits in meinem frühern Schreiben vorgebrachten Bitten, so inständig als möglich, hiemit nochmals zu wiederhohlen, jene Maßregeln, die uns bereits mit dem Schlusse dieses Studienjahres zugesichert wurden, möglichst zu beschleunigen, wodurch der bisher provisorisch fungirende akademische Senat oder wenigstens ich, den die in der letzten Zeit bei uns vorgefallenen Dinge vorzugsweise, wo nicht allein betreffen eines Postens enthoben werde, dem ich ferner mit Ehren vorzustehen mich weder fähig noch geneigt fühle. Ich habe bisher alle zu auffallenden Schritte, die im Lande unnöthiges Aufsehen erregen könnten, als eine totale oder partielle Resignation des akademischen Senats stets zu vermeiden gesucht, daher wünsche ich auch diesmahl, wenn dem hohen Unterrichtsministerium noch nicht genehm wäre, die von uns seit Jahren schon erbethene freie Wahl der akademischen Behörden für das nächste Studienjahr an uns anzuordnen, mein Begehren blos auf meine Person zu beschränken und mir einen Nachfolger im Rectoramte zu bestimmen. Ich bin wahrlich nicht so eitel, um zu glauben, daß meine Person in dieser Hinsicht unersetzlich wäre, bin vielmehr überzeugt, daß dieselbe leicht durch jeden der emeritirten Rectoren, ja auch durch jüngere Mitglieder des Universitätslehrkörpers ersetzt werden könne. Ich setze mich über alle Nachreden, die mein alleiniges Abtreten im Publicum verursachen kann, und jede Empfindlichkeit hierüber hinaus, mögen sogar meine Gegner oder Denuncianten glauben, dies wäre einzig und allein ihr Werk. Ich gönne ihnen den Triumph, ich verlange für mich keine Auszeichnung (denn unmäßiger Ehrgeitz war – Gottlob! – meine schwache Seite nie), ich verlange weiter nichts als Ruhe, um die noch übrige Zeit meines Lebens mehr meiner Familie und solange es noch geht auch meinem akademischen Lehramte, wo ich noch besonders in Hinsicht des deutschen Elementes an unserer Universität noch etwas nützen kann, widmen zu können. Aber mein Rücktritt von dem bisher behaupteten Ehrenposten soll auch in der Ordnung und mit Ehren erfolgen, wozu eine möglichst geordnete Übergabe aller mir bisher anvertrauten Angelegenheiten gehört, daher meine nochmals wiederhohlte Bitte um ein definitives Normale über die vor meinem Abtreten noch zu bewerkstelligende Vertheilung der bisher eingegangenen Matrikelgelder. Alles Übrige, was zur definitiven Coordinirung unserer Universität noch erfordert werden könnte, dürfte eine einzige confidentielle Conferenz mit Herrn Ministerialrath von Tomaschek vollends ins Klare bringen. Da mir aber in Ermangelung der bisher vergebens angesprochenen und gehofften Functionsgebühr keine Privatmittel zu Gebote stehen, um zu einer solchen mündlichen Conferenz oder Berichterstattung eine Excursion nach Wien zu unternehmen, so müßte solche, im Fall einige Aufschlüsse von mir gewünscht werden sollten, nun im Wege einer schriftlichen Mittheilung stattfinden, zu der die bevorstehende Ferienzeit wohl der passendste Zeitpunkt wäre. Ich bin dazu jeden Augenblick bereit. Doch dürften auch jene meiner Collegen, die während der Ferien Wien berühren und bei der Gelegenheit gewöhnlich auch Euer Excellenz ihre Aufwartung zu machen pflegen, über manches nähere Auskunft geben, was über die Angelegenheiten unserer Universität oben zu wissen gut wäre. Nur muß ich bei dieser Gelegenheit zugleich erwähnen, daß die bereits vor einigen Wochen für die Herren Vizkelety und Tognio (wozu eben noch das Gesuch des theologischen Decans hinzukommt) erbethene Urlaubsbewilligung für die schon nahe bevorstehenden Ferien von dem hohen Unterrichtsministerium noch nicht angekommen sei, die doch von den Recurrenten sehnlichst erwartet wird.
Endlich erlaube ich mir noch zum Schlusse ergebenst zu bemerken, daß ich mich durch diese vorläufige confidentielle Mittheilung, unter Euer Excellenz stillschweigender Billigung, für hinlänglich berechtigt halte, noch während des Verlaufs der bevorstehenden Ferien auf officiellem Wege um meine Enthebung von dem bisher geführten Rectoramte einkommen zu dürfen, ohne befürchten zu müssen diesen meinen Schritt auf irgendeine Art mißdeutet zu sehen, der ich übrigens, nebst meinen frühern und oben erwähnten Bitten, auch die Versicherung der tiefsten und aufrichtigsten Verehrung und Ergebenheit wiederholend, in aller Ehrfurcht verharre

Euer Excellenz

ergebenst gehorsamer Diener
Ant. Virozsil

Ofen, den 27. Juli 1853