Leo Thun an Bernhard Rechberg-Rothenlöwen
o. O., 13. Februar 1860
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Regest

Leo Thun übermittelt dem Ministerpräsidenten Bernhard Rechberg-Rothenlöwen ein Schreiben von Kardinal Joseph Othmar Rauscher. Gleichzeitig bittet er ihn um Mitteilung, ob er auf die darin vorgebrachte Angelegenheit eingehen möchte und ob die anderen Ministerkollegen davon in Kenntnis gesetzt werden sollen. Aus der Antwort Rechbergs, die sich auf demselben Blatt befindet, geht hervor, dass es sich dabei wohl um die bevorstehende Abtretung des größten Teils des Kirchenstaates handelt. Rechberg ist skeptisch, dass sich der Verlust dieser Gebiete verhindern lasse, indes glaubt er, dass die Rückerstattung der verlorenen Gebiete dennoch nur eine Frage der Zeit sei. Rechberg informiert Thun zuletzt, dass er eine Nachricht des französischen Botschafters in dieser Frage erwarte.

Anmerkungen zum Dokument

Beilage: Bernhard Rechberg-Rothenlöwen an Leo Thun. o. O., o. D. 1
Das im Brief erwähnte Schreiben von Kardinal Rauscher liegt nicht bei.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-D9F5-C

Schlagworte

Edierter Text

Verehrtester Freund!

Der Kardinal Erzbischof hat heute das anliegende Schreiben an mich gerichtet. 2 Ich bitte Sie mir zu sagen, ob Sie darauf einzugehen finden und ob ich in diesem Falle auch die übrigen Kollegen davon in Kenntnis setzen soll.

Aufrichtig der Ihrige

Thun

Vom Klerus ausgehend finde ich eine Sammlung, namentlich wenn dieselbe unter der Angabe für die Bedürfnisse des heiligen Stuhles ohne weiteren Beisatz stattfände, ganz angemessen. Der schwierigen politischen Verhältnisse wegen würde ich es aber für räthlich halten, daß das Ministerium und besonders das Ministerium des Äußern sich nicht voranstellen.
Sollte es den schwebenden Verhandlungen nicht möglich werden, die Lostrennung der Romagna und anderer Theile des päbstlichen Gebiethes noch zu verhindern, so dürften dem heiligen Vater wohl kaum andere als moralische Mittel anzuwenden bleiben. Die materiellen werden gegen die vereinten Kräfte der Revolution, Sardiniens und des im Hintergrunde stehenden französischen Staates, auf keinem Falle ausreichen. Die Kraft des moralischen Widerstandes sind aber keine politischen Mittel im Stande zu brechen. Auf diesem Wege wird der heilige Vater siegen und wird die Kirche zu neuer Kraft sich wieder im alten Glanze erheben. Der weltliche Besitz des heiligen Stuhles ist ein Bedürfnis für die katholische Christenheit. Sollte der heilige Vater momentan dieses Besitzes beraubt werden, so wird sich dieses Bedürfnis so fühlbar machen, daß die Zurückerstattung dieses Besitzes mit Bestimmtheit vorherzusehen ist.
Ich erwarte morgen Nachmittag eine Mittheilung des französischen Botschafters in Betreff der Romagna.

Ihr aufrichtigster

Rechberg