Leo Thun an Joseph Othmar Rauscher
o. O., 24. Mai [post 1855]
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Regest

Leo Thun teilt Erzbischof und Kardinal Joseph Othmar Rauscher mit, dass der Kaiser den italienischen Bischöfen in der Frage der Zurückhaltung indizierter Büchern entgegenkommen wolle. Thun wird zudem den Wunsch der Bischöfe unterstützen, dass sie an ihren Untergymnasien eigene Zeugnisse ausstellen dürfen. Er verlangt dafür jedoch, dass die Bischöfe darüber hinaus nicht mehr forderten, als den Bischöfen durch das Konkordat zugestanden worden sei. Als Gegenleistung erbittet sich Thun einen jährlichen Überblick über die Leistungen der Lehrer und Schüler an kirchlichen Gymnasien. Über nicht näher bezeichnete Angelegenheiten in Olmütz und Siebenbürgen kann Thun vorerst noch keine Auskunft geben.

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Edierter Text

den 24. Mai

Hochwürdigster Herr Cardinal!

Bezüglich der italienischen Bücherfrage habe ich schon vor geraumer Zeit Seiner Majestät den Antrag erstattet, daß die im Index enthaltenen oder von einzelnen Bischöfen beanstandeten Bücher nicht öffentlich ausgelegt oder angekündigt werden sollen; ich habe aber noch keine Resoluzion erhalten.
Der Wunsch der Bischöfe bezüglich der Zeugnisse der Untergymnasien könnte ohne Zweifel gewährt werden, ohne daß daraus ein Nachtheil erwüchse für jene Berufszweige, denen man sich auf Grundlage solcher Zeugnisse zuwenden darf. Ein Bedenken steht nur in sofern entgegen, als durch jede solche Begünstigung der Zudrang zu Anstalten vermehrt wird, hinsichtlich welcher gar keine Bürgschaft vorliegt, daß der darin ertheilte Unterricht gründlich genug sein werde, um als Vorbereitung für das Obergymnasium auszureichen. Gleichwohl bin ich geneigt den Wunsch zu unterstützen, jedoch nur unter folgenden Bedingungen:
1) daß er nur durch praktische Gründe motivirt, und im Prinzipe anerkannt werde, daß auf Grundlage der Bestimmungen des Konkordates gar nichts mehr verlangt werden könne, als Freiheit in der Erziehung der für den geistlichen Stand bestimmten Knaben.
2) Daß die Bischöfe sich herablassen, der Regierung auch künftighin jährlich einen Ausweis über die verwendeten Lehrer und die Schüler jeder Klasse so wie über deren Klassifikazion vorzulegen, damit die Regierung doch wenigstens wisse, wie sich die Dinge thatsächlich gestalten.
Als eine Konsequenz der 1. Bedingung muß anerkannt werden, daß jede weitere Konzession, zumal also hinsichtlich der höheren Klassen – von dem Ermessen der Regierung abhänge, und ich muß daran festhalten, daß keine weitere Konzession einer Anstalt gemacht werde, an welcher nicht geprüfte Lehrer angestellt werden, und die sich nicht inspizieren lässt. Die Frage bezüglich der Wohlthätigkeitsanstalten ist mir ganz neu, und ich vermag deshalb darüber heute keine Auskunft zu ertheilen.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich auch bezüglich der siebenbürgischen Angelegenheit noch nichts zu berichten im Stande bin. Wollen Euere Eminenz mir erlauben Montag mündlich Auskunft zu ertheilen. Auch über die Olmützer Angelegenheit wünsche ich mit Euerer Eminenz zu sprechen.
Mit ausgezeichnetster Hochachtung habe ich die Ehre zu verharren

Euerer Eminenz

ergebenster Diener
Thun