Karl Wolkenstein sendet Leo Thun ein Memorandum zur Frage, wie die Grundentlastung erfolgen könne. Wolkenstein erklärt daraufhin kurz, nach welchen Prinzipien er dabei vorgegangen ist. Das von ihm vorgeschlagene Vorgehen basiert auf dem früher geübten Verfahren. Wolkenstein äußert allerdings seine Zweifel, ob die jetzigen Gerichte imstande seien, die Verfahren nach dieser Art zu bestreiten, da derzeit viele lang erprobte Institutionen aufgelöst bzw. reformiert würden. Wolkenstein legt besonderen Wert darauf, dass die Grundbesitzer durch die Ablösung nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Er befürchtet nämlich, dass dies nach dem derzeit angedachten Verfahren der Fall sein werde. Wolkenstein betont jedoch, dass gerade diese Gesellschaftschicht ein tragendes Fundament des Staates und der Gesellschaft sei. Außerdem glaubt Wolkenstein, dass es durch das derzeit geplante Verfahren zu einem Wertverlust bei Kreditpapieren kommen werde. Wolkenstein spricht schließlich seine Hoffnung aus, dass die Regierung ihre Pläne ändere. Er setzt dabei besondere Hoffnung auf Leo Thun, da er sich nicht vorstellen könne, dass jener mit den Plänen der Regierung einverstanden sei.
Lieber Freund!
Deinem Wunsche gemäß überschicke ich dir eine (allerdings etwas schmutzige, aber
meine einzige) Abschrift und Memorandum in der Grundentlastungsache, wie ich es
im Frühjahr [1]850 niederschrieb.2 An der eingebogenen Stelle 5 ist der Gegenstand
der Abwicklung zwischen dem Gutsbesitzer und den Tabulargläubigern allerdings
nur in Umrissen angedeutet, wie es der Zweck der Schrift bedingte.
Meine
Projekte knüpften an das früher bestandene Verfahren – die Einvernehmung der
Tabulargläubiger benannt – und weist daher die Verhandlung den l. Gerichten zu,
die ich allerdings an sich für hiezu geeigneter halte als andere Behörden. Ich
hatte hiebey die alten Gerichte, namentlich das Landrecht oder ein Analogon im
Auge.
Ob auch unsere jetzigen Gerichte hiezu taugen, muß ich nach allem, was
ich von gewiegten und erfahrenen Gerichtspersonen und Advokaten erfahre,
bezweifeln. Es herrscht darüber nur eine Stimme, daß gerade diejenigen Zweige
der Justizverwaltung, welche nach den Zuständen, Bedürfnissen und Gewohnheiten,
wie sie hierlandes bestehen, für die Bevölkerung vom allergrößten Interesse
sind, das Landtafel- und Grundbuchswesen, das adeliche Richteramt und ähnliches,
einer kläglichen Vernachläßigung anheimfallen. Unsere Gerichtsstätten werden
Komödienhäuser und die Zeit und Aufmerksamkeit der Gerichtspersonen werden
vorzugsweise dahin verwendet, dem müßigen Publikum Unterhaltung und den
regierenden Journalisten Stoff für ihre Blätter zu gewähren. So hat man
Landtafelstadtbücher etc. einem Einzelrichter und seinen Gehülfen zugewiesen,
die außer Stand sind die Geschäftsmasse zu bewältigen, noch weniger eine
Garantie für deren entsprechende und consequente! Führung gewähren. Ich habe
einigen Begriff davon, was die exacte Führung einer Landtafel erfordere und bin
der Ansicht, daß, wenn man es an einer exacten Führung fehlen läßt, es besser
wäre, das ganze Institut bestünde gar nicht. Auf dem Wege dieses in Böhmen mit
wahrer Classicität handgehabte Institut zu ruinieren, befindet man sich. Ich
kann mich auf das Zeugnis eines unserer tüchtigsten Advocaten berufen, der sich
dahin aussprach, daß die dermalige Geschäftseinrichtung der Landtafel allein
genüge, den Realcredit der Gutsbesitzer zu untergraben. Einem Gerichte von
solcher Verfassung kann man nun allerdings die Auseinandersetzung zwischen
Gläubigern und Gutsbesitzern nicht überweisen, soll sie jemals und wenigst in
leidlicher Weise durchgeführt werden.
Die Idee, die mir in der Sache
vorschwebte, scheint mir eine sehr faßliche:
Diejenigen Gläubiger, welche
durch den verbleibenden Grundbesitz pragmatikal gedeckt sind, haben keinen
rechtlichen Anhaltspunkt, gegen die freye Disposition mit den
Entschädigungsgeldern Einsprache zu thun. Halten sie sich demungeachtet
gefährdet, so steht ihnen – wenigst in den meisten Fällen – die Kündigung frey
(deshalb die Verständigung f.), bis zum Auslaufe der Kündigungsfrist aber kann
wohl nicht leicht eine solche Veränderung in den Verhältnissen eintreten, welche
den Gläubiger einer reellen Gefährdung aussetzen könnte. Wird er dann nicht
bezahlt, so stehen ihm ohnedies provisorische Sicherstellungsmittel und sohin
Exekutionsmittel zu Gebothe, mit denen er begreiflich auch auf die
Entschädigungsgelder greifen kann.
Ob man die Art und Weise, die ich für die
Werthsbestimmung des Grundbesitzes proponierte, adaptiere oder eine andere,
darauf lege ich minderen Werth. Mir schien selbe angemessen. Man kann die Sache
noch stricter nehmen und einen Werthsmesser anlegen, bey dem man vollends
Gewißheit hat, daß man nicht über den wahren Werth hinausgreife – dagegen habe
ich nichts einzuwenden.
Sind nun diejenigen Gläubiger, welche durch den
verbleibenden Grundwerth gedeckt sind, von dem Einspruche ausgeschloßen, so wird
bey vielen (vielleicht bey den meisten) Gütern gar keine
Verhandlung einzutreten haben.
Wo dies nicht der Fall ist, hat der
Besitzer jedenfalls den Vortheil, daß er es mit einem beschränkteren Kreise von
Einspruchsberechtigten zu thun hat.
Diesen gegenüber kann er sich nun
jedenfalls leichter helfen. Er zahlt nach lit. c. mittels der
Entschädigungsgelder ein [?] in der gedeckten Priorität ab – dadurch rückt
natürlich ein gleicher Betrag von dem Einspruchsberechtigten in die Klasse vor,
der nicht mehr zur Einsprache berechtigt ist, er gibt eine anderweitige Deckung
nach lit. d. oder in sonstiger Weise durch Bürgschaft, durch nachgewiesene
Meliorationen und Instruierungen etc. (lit. g). Daß in letzter Beziehung dem
Gerichte ein weiterer Spielraum des Arbitriums gelassen werde, scheint mir
unvermeidlich – bey dem offengelassenen Instanzenzuge und bey dem Umstande, daß
dem Gläubiger immer noch die Kündigung freysteht, wenn er
mit der gerichtlichen Entscheidung nicht einverstanden ist und sich gefährdet
hätte, auch unbedenklich.
D.
v. Eisenstein Senior – ein sehr tüchtiger Advocat – hat aus Anlaß
des obigen Projektes, und wenn ich mich recht erinnere auf dessen Grundlage, die
diesfälligen Propositionen gestellt, welche in den Eingaben vieler böhmischer
Gutsbesitzer an das Ministerium puncto Grundentlastung enthalten sind und
wahrscheinlich im Ministerium des Inneren erliegen. Dabey erliegt auch als
Beylage mein Memorandum. Du hast daher in D.
Eisenstein Ansicht weiteres Material, das preußische Agrargesetz
behandelt dieselbe Frage § 110 [?].
So wenig ich mir einbilde mit meiner
Proposition das Beste getroffen zu hoffen, so fest steht meine Meinung, daß ein
schlechterer Modus der Auseinandersetzung nicht wohl ersonnen werden kann, als
der, welcher das Patente vom 25. September 18503 aufstellt.
Man weiß in der That nicht,
ist es berechnete Perfidie, um den Credit des großen Grundbesitzes zu ruinieren,
denn klar ist es, daß ein so [?] Eingriff in Vertragsverhältnisse und
Hypothekenrechte – wie die aufgezwungene Zahlung durch öffentlicher
Creditspapiere – und bey den Verhältnissen unseres öffentlichen Credites den
Realcredit tief erschüttern müßte. Noch ist das Jahr 1811 weder im Inn- noch
weniger im Auslande vergessen. Jetzt fügt man zur Dezimierung der Gutsrenthe
durch die Operationen der Grundentlastung noch ähnliche Willkührlichkeiten wie
gedachtes Patent hinzu! Wer wird denn noch auf österreichische Hypotheken Geld
leihen? Oder ist es Unfähigkeit, die nächsten Folgen seiner Handlungen zu
berechnen? Oder ist es blos das frivole Vergnügen, seine Omnipotenz durch eine
cynische Mißachtung des Rechtes zu manifestieren?
Eine der Bestimmungen, die
den Geist des Patentes am schneidendsten charakterisiert, ist die des §
21.
Der Staat hat die ausgemittelte Entschädigungsrente nach dem 5 %
Zinsfuße mit 20, nicht mit 22 ½, nicht mit 25 capitalisiert. Er ist daher
absolut verpflichtet, seine Schuld auch mit einem gleichverzinslichen Papiere zu
bezahlen, abgesehen davon, daß auch solche Papiere unter Pari stehen. Er hat
nicht den geringsten rechtlichen Anhaltspunkt, sich seiner Schuld durch Papiere
mit einem geringeren Zinsfuße und mit einem geringeren Cinswerthe zu entledigen.
Das zufällige Verhältnis, daß ein Gutsbesitzer seinem Gläubiger rund 4 ½ % oder
4 % Zinsen zahlt, alterirt jene Verpflichtung nicht im geringsten. Es ist auch
für den Gläubiger ein handgreiflicher Unterschied, ob er ein 4 ½ % oder 4 %
Hypothekencapital hat, welches ihm, wenn er es haben will, mit 100 fl für 100 fl
ebenso baar bezahlt werden muß, als wenn es ein 6 oder 8%iges wäre oder ob er
Papiere hat, für die er, wenn er sie verwerthen will, 86 oder 76 pro Hundert
erhält. Gleichwohl greift der § 21 auch dieses zufällige Verhältnis auf, um sich
die Zahlung auf Kosten des Gläubigers zu erleichtern und gibt für 4 ½ und 4 %
Hypothekposten nur Papiere mit gleichem Zinsfuß. Ist dieser Vorgang etwas
anderes als nackte Prallerey! Und um welchen Vortheiles willen? In Mähren gehören Hypothekenposten mit einer geringeren
als 5 % Verzinsung zu den Seltenheiten, in Oestreich-Steyermark etc. dürfte
dasselbe der Fall seyn, weil die niederösterreichische Sparkasse (der Regulator)
ihren Zinsfuß niemals unter 5 % herabgesetzt hat. In Böhmen gieng die Sparkasse auf 4 ½ % herab und deshalb ist dieser
Zinsfuß ziemlich verbreitet. Aber auch hier wird der Vortheil vielfach dotirt
werden. Eben um dem § 21 des Patentes zu entgehen, verlangen die Gläubiger die
Erhöhung des Zinsfußes auf 5 % und der Gutsbesitzer kann sich dem unter den
bestehenden Verhältnissen nicht entziehen – ich schreibe dies aus eigener
Erfahrung. Nebenbey hat also der ohnedies gedrückte Gutsbesitzer das Bene – die
Zinsreductionen, die er mit Opfern an Zeit, Mühe, Geld durchgeführt, [?] und den
Zinsfuß durch künstliche Mittel hinaufgeschraubt zu sehen.
Noch ist hiebey
ein Umstand aller Beachtung werth. Wohl der größte Theil der 4 %
Hypothekarcapitalien, die wir in Oestreich
haben, wurde im Ausland contrahiert, wo der Zinsfuß für solche auf 3 ½ und 3 %
gesunken, daher die Kapitalien wohlfeiler waren oder wenn auch nicht dort
contrahiert, so wurden doch die Schuldtitel (namentlich die vor einigen Jahren
gangbaren Partialgeschäfte) im Auslande untergebracht. Die Verluste, die der §
21 des Patentes hervorruft, werden daher auch nach außen hin sehr empfindlich
wirken. Hätten wir das Jahr [1]811 nicht gehabt, so wären die fremden Kapitalien
unserer Hypotheken noch viel leichter und reichlicher zugefloßen, besonders bey
unseren trefflichen Landtafel Instituten klar – ich weiß dies aus eigener
Erfahrung. Die Erinnerung an das Jahr [1]811 hat viele geschreckt und so kam es,
daß der Zinsfuß in Oesterreich durchschnittlich immer um 1 ½ bis 2 % höher blieb
wie bey unseren Nachbaren.
Das Jahr [1]811 war die bittere Frucht 20jähriger
Kriege – ein Gewaltstreich hundertmal mehr gerechtfertigt, wie die so wir jetzt
erleben. Warum aber kann man eine Bestimmung wie jenen § 21 rechtfertigen? Soll
die österreichische Ehrlichkeit ein Seitenstück der punica fides
werden?
Entschuldige die unerbethene Herzensergießung. Aber ich halte es für
Pflicht, eine solche Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen, um an einem concreten Falle zu zeigen, wie bey uns Gesetz[?] und
Regierung getrieben wird. Es ist dies leider nicht ein vereinzelter Fall,
sondern nur einer unter vielen.
Du weißt, ich achte – ich verehre dich – und
darum thut es mir wehe deinen Namen unter solchen legislatorischen Machwerken zu
lesen. Du kannst von diesem Schreiben, wenn du es angemessen findest, beliebigen
Gebrauch machen. Es wird nicht schaden, wenn man Oben auf die Stimmen von Leuten
achtet, denen man wenigst ehrlichen Willen nicht bestreiten kann – es wird gut
seyn, wenn man die Augen aufthut. Man mache sich keine Illusionen. Es geht ein
tiefer Unmuth gerade durch die Klassen der Gesellschaft, die man vielleicht
ruinieren, anullieren, aber ohne die man nicht regieren kann, wenn man nicht
Hecker oder Struve seyn will.
Von Herzen und mit unveränderlicher Gesinnung
Dein Karl Wolkenstein
Kannst du mir das Communicat gelegenheitlich rückstellen, so bitte ich darum. Ein Concept besitze ich nicht mehr. Abschriften stehen völlig frey und Mittheilung an jeden, den es interessieren mag.