Der Jurist George Phillips beschwert sich bei Leo Thun über seine schwierige Stellung an der Universität Wien. Als Ursachen hierfür sieht er einerseits seine auch auf dem Katheder vertretenen Ansichten zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft; andererseits befürchtet er, das Vertrauen des Ministers verloren zu haben. Letztere Befürchtung habe Thun zwar zerstreut, doch glaubt Phillips nicht mehr daran, erfolgreich an der Universität Wien wirken zu können. In diesem Sinn bittet er Thun, ihm entweder eine andere Position zuzuweisen oder den erbetenen Urlaub zur Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Arbeiten zu bewilligen.
Das im Brief erwähnte Bittgesuch wurde im Nachlass von Thun unter einer eigenen Signatur (A3 XXI D474) abgelegt.
Hochgeborner Herr Graf
Euer Excellenz!
In der Anlage beehre ich mich Hochdemselben ein Bittgesuch zu überreichen, in
Betreff dessen ich mir die nachstehenden Bemerkungen vorzutragen erlaube.1
Die mannigfachen Erfahrungen, welche ich in den letzten
Jahren meiner akademischen Laufbahn gemacht habe, sind ganz dazu geeignet, mich
zu dem ernstesten Nachdenken über deren Ursachen und nothwendige Consequenzen zu
veranlassen und darnach mein weiteres Handeln einzurichten. Um jedoch hiebei
nicht übereilt zu Werke zu gehen, habe ich mir mit Ruhe das erforderliche
Material gesammelt und geordnet. Es ist um so weniger meine Sache auf Grund der
gemachten Erhebungen bei Euer Excellenz als Denunciant aufzutreten, als ich
einestheils dies überhaupt unter meiner Würde halte, anderntheils aber die
eigentliche Ursache, daß meine hiesigen Verhältnisse sich so wenig günstig
gestellt haben, nicht in diesen oder jenen mir ungeneigten Persönlichkeiten,
sondern vielmehr in ganz anderen Umständen suchen muß. Verzeihen Euer Excellenz,
wenn ich es noch einmal wage, ohne Rückhalt zu Hochdemselben zu sprechen und
noch einmal auf jene Punkte zurückzukommen, welche ich mir erlaubte, Ihnen vor
einigen Monaten vorzulegen.
Das Prinzip, welches ich, von Eurer Excellenz
dazu veranlaßt, öfters die Ehre hatte als dasjenige zu entwickeln, das ich
hinsichtlich der Betreibung der Wissenschaften für das einzig richtige und für
Kirche und Staat ersprießlich halte, besteht darin: daß Kirche und Wissenschaft
Hand in Hand miteinander zu gehen hätten. Sehr bald aber sah ich mich damit hier
zwischen zweien entgegengesetzten Parteien, einer wissenschaftlich-unkirchlichen
und einer kirchlich-unwissenschaftlichen, bei deren jeder ich es gern anerkennen
will, daß sie das eine der beiden Elemente sehr glücklich vertrat. Meine
Richtung konnte nur dann auf einen Erfolg zählen, wenn ich das Glück hätte, für
meine Ansicht die Zustimmung Euer Excellenz zu genießen. Ich kann nicht in
Abrede stellen, daß die Entschiedenheit, mit welcher Hochdieselben sich für
jenen Grundsatz in Wort und That aussprachen, mich mit der größten Freude
erfüllte und in mir die Hoffnung auf den Sieg und die Befestigung der guten
Sache erweckte und nährte.
Als ich mich um über die allmählig nicht so
günstige Gestaltung dieser Verhältnisse in einem ganz gehorsamsten Schreiben zu
Euer Excellenz aussprach, irrte ich in dem Punkte, daß ich glaubte:
Hochdieselben hätten mir Ihr Wohlwollen entzogen; die Versicherung Euer
Excellenz, daß dies nicht der Fall sei, hat mich hierüber aufgeklärt. Dessen
ungeachtet sind die Thatsachen dieselben und die Menschen urtheilen zunächst nur
nach den Thatsachen; diese – seither durch nichts widerlegt – tragen zu meinem
Unglücke so vollständig den Schein an sich, Euer Excellenz hätten mir Ihr
Wohlwollen entzogen, daß, nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur, eine
Reihe von Unziemlichkeiten gegen mich stattgefunden hat, die ohne jenen Schein
wohl schwerlich gewagt worden wären. Allein jene Ereignisse, die zudem in der
Form, wie sie eintraten, für mich sehr betrübend sein mußten, haben die endliche
Folge gehabt, daß meine Wirksamkeit des akademischen Lehrers so gut wie zerstört
ist. Was mich aber mehr als dies betrübt, ist der Umstand, daß, so entschieden
und kräftig Euer Excellenz die Grundsätze der Wahrheit gegen alle Widersacher
auf dem kirchlichen Gebiete vertraten, dennoch auf dem wissenschaftlichen so
sehr verschiedene Richtungen als gleichberechtigt zur Geltung gelangt
sind.
Unter diesen Umständen würden Euer Excellenz einem Mann, der sich seit
Decennien mit Eifer und Begeisterung der Wissenschaft gewidmet und darnach
gestrebt hat, sie in seinem kleinen Bereiche auf die göttlichen Grundlagen für
alles menschliche Wissen zurückzuführen, der auch, Gott sei Dank, sich noch ganz
fähig fühlt und mit Freuden bereit wäre, ein Mehreres zu leisten, es gewiß nicht
so sehr verübeln, wenn er es schwer empfände, sich hier in
Wien, nachdem er in Berlin und
München von Freund und Feind anerkannt
war, die mühsam auf dem Gebiete der Wissenschaft errungene Stellung vernichten
lassen zu müssen. Allein diese persönliche Seite ist das aller Geringste, was
mir Leid verursacht; es ist vielmehr der Beitrag, den die gute Sache in meiner –
Gott weiß es, unwürdigen – Person erleidet.
Ich erlaube mir daher die ganz
gehorsamste Bitte zu stellen, daß Euer Excellenz, wenn Hochdieselben nicht
geneigt sein sollten, mir eine andere für mich passende Stellung unter einer
mich in keinerlei Weise beeinträchtigenden Enthebung von dem Amte eines
Professors zu überweisen, die Gnade haben wollen, mir einen Urlaub zu gewähren,
der mich in den Stand setzt, wenigstens meine begonnenen literarischen Arbeiten
nachhaltig fortzusetzen. Ich erlaube mir ebenfalls bittend hinzuzufügen,
Hochdieselben wollen geruhen, mich jedenfalls, wenn die Umstände sich vor Ablauf
meines Urlaubs nicht anders gestalten sollten, wenigstens für meine Zukunft so
sicher zu stellen, wie ich es mir nach einer leider nur hier nicht erfolgreichen
akademischen Wirksamkeit von zweiunddreißig Jahren versprechen durfte und das um
so mehr, als ich nicht durch meine Schuld, sondern durch das Zusammentreffen
außer mir liegender Umstände zu dem Aufgeben meines Lehramtes genöthigt
werde.
Verzeihen mir Hochdieselben die Eigenmächtigkeit, mit welcher ich in
dem Nothstande, in welchen ich versetzt bin, mich ausgesprochen habe. Indem ich
auch hierin auf Hochdero Gnade vertraue und um ein baldiges geneigtes Gehör
bitte, ersuche ich den Ausdruck der Hochachtung und Verehrung zu genehmigen, mit
welcher ich mich zeichne als
Euer Excellenz
unterthäniger Diener
G. Phillips
Wien, 24. November 1858