George Phillips an Leo Thun
Wien, 24. November 1858
|

Regest

Der Jurist George Phillips beschwert sich bei Leo Thun über seine schwierige Stellung an der Universität Wien. Als Ursachen hierfür sieht er einerseits seine auch auf dem Katheder vertretenen Ansichten zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft; andererseits befürchtet er, das Vertrauen des Ministers verloren zu haben. Letztere Befürchtung habe Thun zwar zerstreut, doch glaubt Phillips nicht mehr daran, erfolgreich an der Universität Wien wirken zu können. In diesem Sinn bittet er Thun, ihm entweder eine andere Position zuzuweisen oder den erbetenen Urlaub zur Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Arbeiten zu bewilligen.

Anmerkungen zum Dokument

Das im Brief erwähnte Bittgesuch wurde im Nachlass von Thun unter einer eigenen Signatur (A3 XXI D474) abgelegt.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DAE1-1

Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf
Euer Excellenz!

In der Anlage beehre ich mich Hochdemselben ein Bittgesuch zu überreichen, in Betreff dessen ich mir die nachstehenden Bemerkungen vorzutragen erlaube.1
Die mannigfachen Erfahrungen, welche ich in den letzten Jahren meiner akademischen Laufbahn gemacht habe, sind ganz dazu geeignet, mich zu dem ernstesten Nachdenken über deren Ursachen und nothwendige Consequenzen zu veranlassen und darnach mein weiteres Handeln einzurichten. Um jedoch hiebei nicht übereilt zu Werke zu gehen, habe ich mir mit Ruhe das erforderliche Material gesammelt und geordnet. Es ist um so weniger meine Sache auf Grund der gemachten Erhebungen bei Euer Excellenz als Denunciant aufzutreten, als ich einestheils dies überhaupt unter meiner Würde halte, anderntheils aber die eigentliche Ursache, daß meine hiesigen Verhältnisse sich so wenig günstig gestellt haben, nicht in diesen oder jenen mir ungeneigten Persönlichkeiten, sondern vielmehr in ganz anderen Umständen suchen muß. Verzeihen Euer Excellenz, wenn ich es noch einmal wage, ohne Rückhalt zu Hochdemselben zu sprechen und noch einmal auf jene Punkte zurückzukommen, welche ich mir erlaubte, Ihnen vor einigen Monaten vorzulegen.
Das Prinzip, welches ich, von Eurer Excellenz dazu veranlaßt, öfters die Ehre hatte als dasjenige zu entwickeln, das ich hinsichtlich der Betreibung der Wissenschaften für das einzig richtige und für Kirche und Staat ersprießlich halte, besteht darin: daß Kirche und Wissenschaft Hand in Hand miteinander zu gehen hätten. Sehr bald aber sah ich mich damit hier zwischen zweien entgegengesetzten Parteien, einer wissenschaftlich-unkirchlichen und einer kirchlich-unwissenschaftlichen, bei deren jeder ich es gern anerkennen will, daß sie das eine der beiden Elemente sehr glücklich vertrat. Meine Richtung konnte nur dann auf einen Erfolg zählen, wenn ich das Glück hätte, für meine Ansicht die Zustimmung Euer Excellenz zu genießen. Ich kann nicht in Abrede stellen, daß die Entschiedenheit, mit welcher Hochdieselben sich für jenen Grundsatz in Wort und That aussprachen, mich mit der größten Freude erfüllte und in mir die Hoffnung auf den Sieg und die Befestigung der guten Sache erweckte und nährte.
Als ich mich um über die allmählig nicht so günstige Gestaltung dieser Verhältnisse in einem ganz gehorsamsten Schreiben zu Euer Excellenz aussprach, irrte ich in dem Punkte, daß ich glaubte: Hochdieselben hätten mir Ihr Wohlwollen entzogen; die Versicherung Euer Excellenz, daß dies nicht der Fall sei, hat mich hierüber aufgeklärt. Dessen ungeachtet sind die Thatsachen dieselben und die Menschen urtheilen zunächst nur nach den Thatsachen; diese – seither durch nichts widerlegt – tragen zu meinem Unglücke so vollständig den Schein an sich, Euer Excellenz hätten mir Ihr Wohlwollen entzogen, daß, nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur, eine Reihe von Unziemlichkeiten gegen mich stattgefunden hat, die ohne jenen Schein wohl schwerlich gewagt worden wären. Allein jene Ereignisse, die zudem in der Form, wie sie eintraten, für mich sehr betrübend sein mußten, haben die endliche Folge gehabt, daß meine Wirksamkeit des akademischen Lehrers so gut wie zerstört ist. Was mich aber mehr als dies betrübt, ist der Umstand, daß, so entschieden und kräftig Euer Excellenz die Grundsätze der Wahrheit gegen alle Widersacher auf dem kirchlichen Gebiete vertraten, dennoch auf dem wissenschaftlichen so sehr verschiedene Richtungen als gleichberechtigt zur Geltung gelangt sind.
Unter diesen Umständen würden Euer Excellenz einem Mann, der sich seit Decennien mit Eifer und Begeisterung der Wissenschaft gewidmet und darnach gestrebt hat, sie in seinem kleinen Bereiche auf die göttlichen Grundlagen für alles menschliche Wissen zurückzuführen, der auch, Gott sei Dank, sich noch ganz fähig fühlt und mit Freuden bereit wäre, ein Mehreres zu leisten, es gewiß nicht so sehr verübeln, wenn er es schwer empfände, sich hier in Wien, nachdem er in Berlin und München von Freund und Feind anerkannt war, die mühsam auf dem Gebiete der Wissenschaft errungene Stellung vernichten lassen zu müssen. Allein diese persönliche Seite ist das aller Geringste, was mir Leid verursacht; es ist vielmehr der Beitrag, den die gute Sache in meiner – Gott weiß es, unwürdigen – Person erleidet.
Ich erlaube mir daher die ganz gehorsamste Bitte zu stellen, daß Euer Excellenz, wenn Hochdieselben nicht geneigt sein sollten, mir eine andere für mich passende Stellung unter einer mich in keinerlei Weise beeinträchtigenden Enthebung von dem Amte eines Professors zu überweisen, die Gnade haben wollen, mir einen Urlaub zu gewähren, der mich in den Stand setzt, wenigstens meine begonnenen literarischen Arbeiten nachhaltig fortzusetzen. Ich erlaube mir ebenfalls bittend hinzuzufügen, Hochdieselben wollen geruhen, mich jedenfalls, wenn die Umstände sich vor Ablauf meines Urlaubs nicht anders gestalten sollten, wenigstens für meine Zukunft so sicher zu stellen, wie ich es mir nach einer leider nur hier nicht erfolgreichen akademischen Wirksamkeit von zweiunddreißig Jahren versprechen durfte und das um so mehr, als ich nicht durch meine Schuld, sondern durch das Zusammentreffen außer mir liegender Umstände zu dem Aufgeben meines Lehramtes genöthigt werde.
Verzeihen mir Hochdieselben die Eigenmächtigkeit, mit welcher ich in dem Nothstande, in welchen ich versetzt bin, mich ausgesprochen habe. Indem ich auch hierin auf Hochdero Gnade vertraue und um ein baldiges geneigtes Gehör bitte, ersuche ich den Ausdruck der Hochachtung und Verehrung zu genehmigen, mit welcher ich mich zeichne als

Euer Excellenz

unterthäniger Diener
G. Phillips

Wien, 24. November 1858