Karl Kuzmány, seit Dezember 1849 Professor der praktischen Theologie und des Kirchenrechts an der evangelisch-theologischen Lehranstalt in Wien, ersucht Leo Thun seine früheren Dienstjahre als evangelischer Pfarrer und Schuldekan bei Berechnung seiner Dienstjahre zu berücksichtigen. Karl Kuzmány trägt diese Bitte an Leo Thun heran, weil das allgemeine Pensionsnormale eigentlich vorsieht, dass nur jenen Personen die Einrechnung früherer Dienstjahre zusteht, die bereits vor der Revolution in kaiserlichem Diensten gestanden waren. Außerdem ist die Einrechnung der Dienstjahre von Geistlichen in Pfarreien nicht vorgesehen. Kuzmány betont jedoch, dass gerade bei seiner Professur für praktische Theologie die Erfahrung als Pfarrer von eminenter Bedeutung sei und daher die Einrechnung seiner Dienstjahre als Pfarrer durchaus berechtigt erscheint. Schließlich weist er auf seinen besonderen Fleiß im Dienst hin und betont, dass er seine Vorlesungen freiwillig und unentgeltlich auch in Tschechisch halte. Damit ermögliche er den Böhmen, Mährern und Slowaken eine gute Ausbildung im Fach Praktische Theologie. Daher legt Kuzmány dem Brief auch einen Auszug aus der "Österreichischen Correspondenz" bei, in der auf die Vorlesungen Kuzmánys in böhmischer Sprache hingewiesen wird.
Euere Excellenz!
Theils durch seine seitherige Neigung zum Lehrfache, theils durch seine
bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse bestimmt, hatte der Unterzeichnete um eine
Professur an der kaiserlichen
protestantisch-theologischen Lehranstalt sich beworben: daß sie
ihm verliehen wurde, wird er sich nie dankbar genug beweisen können.
Nun
aber fühlt er sich noch bewogen um einen suppletorischen hohen Ministerialerlaß
unterthänigst bittlich einzukommen, vermöge dessen seine bis jetzt im
öffentlichen Amte eines evangelischen Pfarrers und Schuldecans zugebrachten
Jahre zur dereinstigen etwa nothwendigen Pensionirung desselben giltig erklärt
würden. Er glaubt dies seiner durch die Revolutionsstürme ohnehin hart
mitgenommenen Familie und der Sicherung seiner eigenen Zukunft schuldig zu sein
und wagt den hochherzigen Sinn Euerer Excellenz nur auf folgende Gründe
aufmerksam machen zu müssen, welche die Billigkeit seiner Bitte darthuen
sollen.
1. Das allgemeine Pensionsnormale bestimmt die Einzählung der
frühern Dienstjahre nur jenen, die in kaiserlichen Diensten standen. Nun konnten
bis jetzt die Protestanten an keiner nichtprotestantischen kaiserlichen
Unterrichtsanstalt dienen, eine kaiserliche protestantische aber gab es keine
andere, als die einzige hierortige theologische: somit bezöge sich das
allgemeine Pensionsnormale in Betreff der Professoren dieser Anstalt auf die
Voraussetzung einer Unmöglichkeit. Werden jetzt Professoren vom Auslande in
kaiserliche Dienste berufen, so befinden sich diese in vollkommen analogem Fall:
sieht man sich bewogen diesen ihre frühere, dem Auslande geleisteten Dienstjahre
einzurechnen, so dürfte wohl auch den eigenen Landeskindern, die in andern
öffentlichen Ämtern dem eigenen Staate vielleicht nicht unwesentliche Dienste
geleistet haben, dieselbe Berücksichtigung billig zu Theil werden.
2. Das
allgemeine Pensionsnormale will insbesondere den Geistlichen die früher an
Pfarreien zugebrachten Jahre nicht eingezählt wissen; die Professur der
praktischen Theologie ist nicht nur von allen theologischen für den Staat die
wichtigste, sondern kann auch nur, wenn zweckmässig, durchaus nur durch einen
praktisch erfahrenen und nie ganz jungen Geistlichen versehen werden, wenn die
künftigen Seelsorger besonders in unserer kirchlich nicht minder wie politisch
bewegten Zeit mit wahrhaft kirchlich christlichem Geist erfüllt werden sollen,
da Kirchenregiment, Seelsorge und Gottesdienst Dinge sind, die durchaus gelebt
sein wollen, wenn man zur klaren Erkenntnis dessen kommen soll, was da Noth
thut. Es ist dies auch in der That bei allen besser geregelten sowohl
protestantischen als katholischen theologischen Unterrichtsanstalten sowohl des
Auslandes wie des Auslandes [sic!]. Die Professoren der alten Sprachen, Exegese,
Geschichte, Moral usw. können allenfalls auch solche sein, die ganz junge Männer
und nie Geistliche gewesen sind; für die Professur der praktischen Theologie ist
die obige Qualification durchaus nothwendig. Sollte der Geist des allgemeinen
Pensionsnormales gerade gegen die Qualification eines Professors und gegen das
nächste Interesse des Staates an theologischen Unterrichtsanstalten gerichtet
sein? Wohl ist das allgemeine Pensionsnormale in dieser Beziehung ursprünglich
nur katholische Geistliche betreffend, und man bezieht es bloß analogisch auf
protestantische; aber wie es den Unterzeichneten deucht ganz unbillig. Für
deficiente katholische Geistliche gibt es außer den durch das Pensionsnormale
stipulirten Unterstützungen, wenn diese Kraft der bestehenden Vorschriften nicht
zugesprochen werden, andere Versorgungsanstalten, die wieder wenigstens zum
Theil durch den Staat unterhalten werden: für protestantische gibt es keine. Als
Pfarrer ist er zeitlebens versorgt, und wenn er gleich in den ersten Jahren zum
Dienste untauglich würde, da er sich bloß einen Vicair zu halten braucht; sollte
ihm, dem Familienvater, wenn er nun nach mehreren Jahren im erhöhten Interesse
des Staates in kaiserliche Dienste tritt, der kaiserliche Dienst weniger
Sicherheit gewähren und seine und die Zukunft seiner Familie möglicher Weise der
Nothdurft bloßstellen: dies kann gewiß der Geist des allgemeinen
Pensionsnormales nicht sein.
3. Endlich hat der unterthänigst Gefertigte
trotzdem, daß er mit mehr obligaten Vortragsgegenständen als irgend einer seiner
Collegen betheilt ist, außer diesen Gegenständen, die er als für alle
Studierende bestimmt, nothwendig in der deutschen Sprache vortragen muß, damit
er den unumgänglichen Bedürfnissen möglichst entspreche, sich noch anheischig
gemacht, eine theologische Wissenschaft außerdem slavisch vorzutragen, da für
die Ausbildung der zahlreichen Böhmen, Mährer und Slowaken die bloßen
praktischen Übungen nicht ausreichen, und er zweifelt gar nicht, daß er darin
auch noch nach dem Sinne eines hohen Cultusministeriums handelt, wofür ihm das
hier sub % beigebogene Blatt der lithographischen österreichischen Correspondenz
Zeugnis zu geben scheint. Und so hofft der unterthänigst Gefertigte, daß ihm
seine obige Bitte wenigstens ad Personam gewährt werde, um deren Erfüllung er
Euer Excellenz Hochherzigkeit nochmals anflehend sich in tiefster Hochachtung
zeichnet
Wien, 20. Febr. 1850
Euer Excellenz
unterthänigster Diener
Karl Kuzmány
kaiserlicher
Professor der praktischen Theologie
an der theologisch-protestantischen
Lehranstalt
Es wurden hier gestern zwei neue Lehrkanzeln eröffnet: Prof. Sembera beginnt seine Vorlesungen über böhmische Sprache und Literatur an der Universität, Prof. Kuzmany seine theologischen Vorträge an der evangelischen Lehranstalt. Wegen der großen Zahl slawischer Besucher dieses Instituts wird Prof. Kuzmany seine Vorlesungen auch in böhmischer Sprache halten, um die Studierenden in die Lage zu setzen, einst in ihrem Berufe als slawische Prediger mit Erfolg wirken zu können. So sucht das Ministerium des öffentlichen Unterrichts dem Grundsatze der nationalen Gleichberechtigung immer größere Geltung zu verschaffen.