Michael Kuziemski berichtet Leo Thun von Angriffen gegen die Ruthenen in Galizien. Er betont, dass versucht werde, die Ruthenen zu verleumden und ihre Treue gegenüber der Regierung in Zweifel zu ziehen. Als Beispiel nennt er einen unbedeutenden Vorfall am akademischen Gymnasium in Lemberg, der zunächst aufgebauscht und dann ruthenischen Schülern angelastet worden war, nur um die Ruthenen bei der österreichischen Regierung als Unruhestifter zu brandmarken. In jüngster Zeit wurde den Ruthenen zudem angelastet, gegen die katholische Kirche zu agitieren. Die Bitte der Ruthenen, das Theologiestudium in ruthenischer Sprache absolvieren zu dürfen, wurde als Angriff gegen die katholische Kirche dargestellt. Kuziemski zweifelt nicht daran, dass Thun in diesen Vorgängen die Intrigen gegen die Ruthenen erkennt und diese Volksgruppe gegen die ungerechten Angriffe in Schutz nehmen wird. Da die Ruthenen weder in der Landes- noch in der Reichsregierung einen Vertreter haben, sind sie den Anschuldigungen schutzlos ausgeliefert.
Euere Exzellenz!
Meine Befürchtungen, die ich in der Euerer Exzellenz am 27. Oktober dieses Jahres
überreichten Schrift ausgedrückt habe, sind nun doch wirklich in Erfüllung
gegangen. Man suchte nur einen Vorwand um uns bei der hohen Regierung zu
verdächtigen, und dieser war bald da, weil man ihn brauchte. Umsonst war nun
unser makelloses Verhalten, umsonst die so oftmal und unter allen Umständen
erprobte Treue und Anhänglichkeit an die Regierung. Ein unbedeutender Vorfall im
akademischen Gymnasium, welcher hier kaum eine Aufmerksamkeit erregte, wurde
ergriffen, anders gedeutet, und den unschuldigen Ruthenen in die Schuhe
geschoben. Das akademische Gymnasium ist nicht ausschließlich ruthenisch: außer
den Ruthenen sind da auch noch Polen, Deutsche und Juden. Nun ohne einer näheren
Untersuchung, ob diese Bewegung von den Polen, Deutschen oder Juden ausgegangen
ist, ohne selbst auf die Beschwerde der Jugend näher einzugehen, daß sich fremde
Elemente unter sie eingeschlichen haben, ohne erörtert zu haben, ob nicht auch
das Benehmen des Professors schuld sei – hat man geradezu die Ruthenen des
Unfugs beschuldiget, ihnen die Abneigung gegen das Deutsche aufgebürdet – ja man
war sogar geneigt, hinter diesem Studentenunfug jemanden anderen zu erblicken.
Daß die Ruthenen sich im vorigen Jahre, wo man sich auf die Beseitigung des
deutschen Elements offen drang [sic!], für das Deutsche erklärten, hat man schon
in diesem Jahre vergessen und so haben wir nun das Zutrauen der Regierung
verscherzt und dies umso eher, als wir gewagt haben, die natürlichste Bitte zu
stellen, es mögen doch unsere Kandidaten des geistlichen Standes die Theologie
in der Sprache lernen, in welcher sie die anvertraute Gemeinde zu leiten haben
werden!
Es hat unseren Gegnern, und diese sind es auch zugleich der
österreichischen Regierung, geglückt, diese beiden Vorgänge zu unserem Verderben
auszubeuten, in ihrem Sinne darzustellen, – und so sind nun die Ruthenen, welche
bisher immer brav waren, auf einmal schlecht geworden – weil man sie schlecht
haben will – stat pro ratione voluntas. Unseren Gegnern scheint das kirchliche
Feld günstiger zu sein, weil sie durch das vorgeschobene Schreckbild eines
Schisma andere, höhere Elemente sich dienstbar machten. Im vorigen Jahre hat man
öffentlich in allen Zeitschriften uns als Reaktionäre verschrieen und der
Hinneigung zu den Russen beschuldiget; die Folge hat gezeigt jedem, der es sehen
wollte, wer in Galizien mit den
Russen simpatesirt [sic!]. Weil es nun auf diese Weise nicht ging, und man in
dieser Hinsicht uns nicht beikommen konnte, fing man an, unseren Glauben in
Zweifel zu ziehen; – dieselbe uns feindliche Parthei, die zwar niedergestürzt,
jedoch nicht vernichtet ist, flüchtete sich hinter die Kirche. Die Kirche, oder
richtiger gesagt, die Geistlichkeit ist es, welche nun mit uns den Kampf
eröffnet. Gesichter, welche im vorigen Jahre schon ganz verschwunden waren,
tauchten wieder hie und da als Seemöwen auf und erhoben hinter den Ohren der
leicht Zugänglichen ein Zettergeschrei: die katholische Kirche sei in Gefahr, –
weil man in den Schulen und selbst die Theologie ruthenisch zu lernen
beabsichtige.
Nun galts, das Bestreben der Ruthenen zu vereiteln; die
Verläumdung mußte zu Hülfe kommen. Man erbeutete den besprochenen
Studentenunfug, der ganz wie gerufen, oder hervorgerufen, in ihren Plan paßte,
um uns bei den Deutschen und namentlich bei der Regierung zu verdächtigen, und, nachdem man dies vorgeschoben, greift
man unseren Glauben an, um uns bei den Katholiken zu
verschwärzen. Man brachte die Sache von der gehässesten Seite auch den höheren,
und vielleicht auch den höchsten Regionen bei – und es schmerzt mich in der
tiefsten Seele, daß diese Insinuationen so leicht Gehör gefunden zu haben
scheinen.
Es wäre traurig um die katholische Kirche, wenn ihre Stütze nur in
der Sprache und nicht in den Herzen der Gläubigen wäre. Die Verfechter der
Katholizität erweisen der Kirche Christi wahrlich keinen großen Dienst, wenn sie
solche von der lateinischen Sprache abhängig machen. Glaubt man denn, daß man
von der katholischen Kirche nicht abfallen kann, wenn man die Theologie
lateinisch lernt; im Gegentheile, dies könnte eben nur als ein Grund benützt
werden, sich von einer Gemeinschaft loszusagen, welche uns nur immer
verdächtiget, unwürdig behandelt, statt auf den Kern nur auf die Schale sieht,
und uns nicht das Mindeste, wenn auch Nützlichste gönnen will.
Eine
briefliche Mittheilung ist eben nicht geeignet, das Studium der Theologie in der
ruthenischen Sprache von dem wissenschaftlichen Standpunkte zu beleuchten,
deshalb ich es nicht einmal zu versuchen wage.
Ich zweifle gar nicht, daß
Euere Exzellenz als ein erleuchteter Staatsmann diese gegen die Ruthenen frei
angelegten Intrigen werden durchblickt haben; ebenso wenig zweifle ich, daß
Euere Exzellenz uns gegen alle ungerechten Anfeindungen in Schutz nehmen werden.
Ich bitte nur den Studentenvorfall gründlich erheben [zu] lassen, und es dürfte
sich zeigen, ob die Ruthenen da im Spiele waren. Sollten sie es aber wirklich
schuld sein, dann möge die Regierung gegen die Schuldigen mit der größten
Strenge verfahren, um jede Widerspänstigkeit gegen die Anordnungen der Regierung
bei den Ruthenen gleich im Keime zu ersticken.
Ich überlasse den
Hochwürdigen Herren Bischöfen sich von dem Vorwurfe des Hinneigens zum Schisma
zu reinigen – muß nur bemerken, daß die Ruthenen, so wie sie ihre Treue dem
Monarchen rein und unbefleckt
erhalten haben, eben so an dem Glauben ihrer Väter, an der katholischen Kirche mit Liebe fest und unerschütterlich hängen, und
jede Verdächtigung eines Abfalls von der katholischen Kirche, woher sie immer
kommen möge, als eine unwürdige Verläumdung entschieden zurückweisen.
Die
berührten Vorfälle dienen aber nur zum Beweise, wie traurig die Sachen der
Ruthenen stehen – ein leiser auch künstlicher Hauch ist im Stande alle ihre
schwer erworbenen Verdienste zu vernichten; weil die Ruthenen aus ihrer Mitte
keine Vertreter, weder bei der Landes- noch bei der Reichsregierung haben, die
im Stande wären für sie das Wort zu sprechen und gegen unwürdige Angriffe zu
vertheidigen. Die Landesregierung nimmt sich nie die Mühe die Wünsche der
Ruthenen zu vernehmen, nicht Wunder also, daß alle Anzeigen höheren Orts nur
einseitig sind.
Verzeihen Euere Exzellenz, wenn ich in meinem vorliegenden
Schreiben vielleicht mich zu offen ausgesprochen habe; ich that es aber im
Dienste meiner Nation, meines Vaterlandes und meines Monarchen – und ich that es einem Manne
gegenüber, welcher die Wahrheit liebt, und als ein höchstgestellter Staatsmann
die Wahrheit suchen muß. Sollten aber meine Worte das Unglück haben, ungefällig
aufgenommen zu sein – so geruhen Euere Exzellenz mir nur die leiseste Andeutung
zukommen zu lassen, und ich werde schweigen und dulden, wie es alle Ruthenen
bisher gethan haben.
Genehmigen Euere Exzellenz die Versicherung einer
unbegränzten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu verbleiben
Euerer Exzellenz
unterthänigster Diener
Kuziemski
Lemberg, den 19. November [1]849