Michael Kuziemski an Leo Thun
Lemberg, 19. November 1849
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Regest

Michael Kuziemski berichtet Leo Thun von Angriffen gegen die Ruthenen in Galizien. Er betont, dass versucht werde, die Ruthenen zu verleumden und ihre Treue gegenüber der Regierung in Zweifel zu ziehen. Als Beispiel nennt er einen unbedeutenden Vorfall am akademischen Gymnasium in Lemberg, der zunächst aufgebauscht und dann ruthenischen Schülern angelastet worden war, nur um die Ruthenen bei der österreichischen Regierung als Unruhestifter zu brandmarken. In jüngster Zeit wurde den Ruthenen zudem angelastet, gegen die katholische Kirche zu agitieren. Die Bitte der Ruthenen, das Theologiestudium in ruthenischer Sprache absolvieren zu dürfen, wurde als Angriff gegen die katholische Kirche dargestellt. Kuziemski zweifelt nicht daran, dass Thun in diesen Vorgängen die Intrigen gegen die Ruthenen erkennt und diese Volksgruppe gegen die ungerechten Angriffe in Schutz nehmen wird. Da die Ruthenen weder in der Landes- noch in der Reichsregierung einen Vertreter haben, sind sie den Anschuldigungen schutzlos ausgeliefert.

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Edierter Text

Euere Exzellenz!

Meine Befürchtungen, die ich in der Euerer Exzellenz am 27. Oktober dieses Jahres überreichten Schrift ausgedrückt habe, sind nun doch wirklich in Erfüllung gegangen. Man suchte nur einen Vorwand um uns bei der hohen Regierung zu verdächtigen, und dieser war bald da, weil man ihn brauchte. Umsonst war nun unser makelloses Verhalten, umsonst die so oftmal und unter allen Umständen erprobte Treue und Anhänglichkeit an die Regierung. Ein unbedeutender Vorfall im akademischen Gymnasium, welcher hier kaum eine Aufmerksamkeit erregte, wurde ergriffen, anders gedeutet, und den unschuldigen Ruthenen in die Schuhe geschoben. Das akademische Gymnasium ist nicht ausschließlich ruthenisch: außer den Ruthenen sind da auch noch Polen, Deutsche und Juden. Nun ohne einer näheren Untersuchung, ob diese Bewegung von den Polen, Deutschen oder Juden ausgegangen ist, ohne selbst auf die Beschwerde der Jugend näher einzugehen, daß sich fremde Elemente unter sie eingeschlichen haben, ohne erörtert zu haben, ob nicht auch das Benehmen des Professors schuld sei – hat man geradezu die Ruthenen des Unfugs beschuldiget, ihnen die Abneigung gegen das Deutsche aufgebürdet – ja man war sogar geneigt, hinter diesem Studentenunfug jemanden anderen zu erblicken. Daß die Ruthenen sich im vorigen Jahre, wo man sich auf die Beseitigung des deutschen Elements offen drang [sic!], für das Deutsche erklärten, hat man schon in diesem Jahre vergessen und so haben wir nun das Zutrauen der Regierung verscherzt und dies umso eher, als wir gewagt haben, die natürlichste Bitte zu stellen, es mögen doch unsere Kandidaten des geistlichen Standes die Theologie in der Sprache lernen, in welcher sie die anvertraute Gemeinde zu leiten haben werden!
Es hat unseren Gegnern, und diese sind es auch zugleich der österreichischen Regierung, geglückt, diese beiden Vorgänge zu unserem Verderben auszubeuten, in ihrem Sinne darzustellen, – und so sind nun die Ruthenen, welche bisher immer brav waren, auf einmal schlecht geworden – weil man sie schlecht haben will – stat pro ratione voluntas. Unseren Gegnern scheint das kirchliche Feld günstiger zu sein, weil sie durch das vorgeschobene Schreckbild eines Schisma andere, höhere Elemente sich dienstbar machten. Im vorigen Jahre hat man öffentlich in allen Zeitschriften uns als Reaktionäre verschrieen und der Hinneigung zu den Russen beschuldiget; die Folge hat gezeigt jedem, der es sehen wollte, wer in Galizien mit den Russen simpatesirt [sic!]. Weil es nun auf diese Weise nicht ging, und man in dieser Hinsicht uns nicht beikommen konnte, fing man an, unseren Glauben in Zweifel zu ziehen; – dieselbe uns feindliche Parthei, die zwar niedergestürzt, jedoch nicht vernichtet ist, flüchtete sich hinter die Kirche. Die Kirche, oder richtiger gesagt, die Geistlichkeit ist es, welche nun mit uns den Kampf eröffnet. Gesichter, welche im vorigen Jahre schon ganz verschwunden waren, tauchten wieder hie und da als Seemöwen auf und erhoben hinter den Ohren der leicht Zugänglichen ein Zettergeschrei: die katholische Kirche sei in Gefahr, – weil man in den Schulen und selbst die Theologie ruthenisch zu lernen beabsichtige.
Nun galts, das Bestreben der Ruthenen zu vereiteln; die Verläumdung mußte zu Hülfe kommen. Man erbeutete den besprochenen Studentenunfug, der ganz wie gerufen, oder hervorgerufen, in ihren Plan paßte, um uns bei den Deutschen und namentlich bei der Regierung zu verdächtigen, und, nachdem man dies vorgeschoben, greift man unseren Glauben an, um uns bei den Katholiken zu verschwärzen. Man brachte die Sache von der gehässesten Seite auch den höheren, und vielleicht auch den höchsten Regionen bei – und es schmerzt mich in der tiefsten Seele, daß diese Insinuationen so leicht Gehör gefunden zu haben scheinen.
Es wäre traurig um die katholische Kirche, wenn ihre Stütze nur in der Sprache und nicht in den Herzen der Gläubigen wäre. Die Verfechter der Katholizität erweisen der Kirche Christi wahrlich keinen großen Dienst, wenn sie solche von der lateinischen Sprache abhängig machen. Glaubt man denn, daß man von der katholischen Kirche nicht abfallen kann, wenn man die Theologie lateinisch lernt; im Gegentheile, dies könnte eben nur als ein Grund benützt werden, sich von einer Gemeinschaft loszusagen, welche uns nur immer verdächtiget, unwürdig behandelt, statt auf den Kern nur auf die Schale sieht, und uns nicht das Mindeste, wenn auch Nützlichste gönnen will.
Eine briefliche Mittheilung ist eben nicht geeignet, das Studium der Theologie in der ruthenischen Sprache von dem wissenschaftlichen Standpunkte zu beleuchten, deshalb ich es nicht einmal zu versuchen wage.
Ich zweifle gar nicht, daß Euere Exzellenz als ein erleuchteter Staatsmann diese gegen die Ruthenen frei angelegten Intrigen werden durchblickt haben; ebenso wenig zweifle ich, daß Euere Exzellenz uns gegen alle ungerechten Anfeindungen in Schutz nehmen werden. Ich bitte nur den Studentenvorfall gründlich erheben [zu] lassen, und es dürfte sich zeigen, ob die Ruthenen da im Spiele waren. Sollten sie es aber wirklich schuld sein, dann möge die Regierung gegen die Schuldigen mit der größten Strenge verfahren, um jede Widerspänstigkeit gegen die Anordnungen der Regierung bei den Ruthenen gleich im Keime zu ersticken.
Ich überlasse den Hochwürdigen Herren Bischöfen sich von dem Vorwurfe des Hinneigens zum Schisma zu reinigen – muß nur bemerken, daß die Ruthenen, so wie sie ihre Treue dem Monarchen rein und unbefleckt erhalten haben, eben so an dem Glauben ihrer Väter, an der katholischen Kirche mit Liebe fest und unerschütterlich hängen, und jede Verdächtigung eines Abfalls von der katholischen Kirche, woher sie immer kommen möge, als eine unwürdige Verläumdung entschieden zurückweisen.
Die berührten Vorfälle dienen aber nur zum Beweise, wie traurig die Sachen der Ruthenen stehen – ein leiser auch künstlicher Hauch ist im Stande alle ihre schwer erworbenen Verdienste zu vernichten; weil die Ruthenen aus ihrer Mitte keine Vertreter, weder bei der Landes- noch bei der Reichsregierung haben, die im Stande wären für sie das Wort zu sprechen und gegen unwürdige Angriffe zu vertheidigen. Die Landesregierung nimmt sich nie die Mühe die Wünsche der Ruthenen zu vernehmen, nicht Wunder also, daß alle Anzeigen höheren Orts nur einseitig sind.
Verzeihen Euere Exzellenz, wenn ich in meinem vorliegenden Schreiben vielleicht mich zu offen ausgesprochen habe; ich that es aber im Dienste meiner Nation, meines Vaterlandes und meines Monarchen – und ich that es einem Manne gegenüber, welcher die Wahrheit liebt, und als ein höchstgestellter Staatsmann die Wahrheit suchen muß. Sollten aber meine Worte das Unglück haben, ungefällig aufgenommen zu sein – so geruhen Euere Exzellenz mir nur die leiseste Andeutung zukommen zu lassen, und ich werde schweigen und dulden, wie es alle Ruthenen bisher gethan haben.
Genehmigen Euere Exzellenz die Versicherung einer unbegränzten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu verbleiben

Euerer Exzellenz

unterthänigster Diener

Kuziemski

Lemberg, den 19. November [1]849