Johann Friedrich Schulte an Leo Thun
Prag, 20. Oktober 1860
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Regest

Der Jurist Johann Friedrich Schulte drückt sein Bedauern über den Rücktritt Thuns von seinem Amt als Unterrichtsminister aus. Schulte ist der Ansicht, dass es Thun gelungen sei, das österreichische Unterrichtswesen auf eine solide Basis zu stellen und ihm neues Leben einzuhauchen. Schulte zeigt sich daher besorgt, welche Folgen Thuns Demission für die weitere Entwicklung des Unterrichtswesens haben könnte. Er hofft, dass sich Thun auch zukünftig für das Unterrichtswesen einsetzen wird. Er selbst will weiterhin im Sinne von Thun wirken und äußert den Wunsch, ihm weiterhin – als Zeichen seiner Verehrung – literarische Arbeiten übermitteln zu dürfen. Ferner gratuliert er Thun zur Verleihung des Großkreuzes des Leopold-Ordens.

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Edierter Text

Euere Excellenz!

Da es mir leider nicht vergönnt ist, im Vereine mit Vielen meinen Gefühlen Ausdruck zu leihen, so ergreife ich diesen Weg.
Mit welchem Gefühle des Schmerzes ich den Mann von hoher Stelle scheiden sehe, der gerade dem wichtigsten Zweige des staatlichen Lebens, dem Unterrichte, auf welchem die Zukunft ruhet, neues, ja erst eigentlich Leben in Österreich einhauchte; den Mann, der für das Gebäude der Kirche, auf welcher einzig und allein das Wohl der Völker des Kaiserstaates als auf festem Grunde ruhet, das Fundament mitschaffen half, gegen welches vergebens Religionshaß, Indifferentismus und Materialismus ankämpfen, solange der Staat an seiner Spitze solche Männer hat; des Vorgesetzten, der mir stets als liebevoller, ich möchte sagen, väterlicher Rathgeber mehr denn als kalter Oberer begegnete, – das vermag ich kaum mit Worten auszusprechen. Mein Schmerz ist weniger persönlicher Natur als mit Rücksicht auf die Sache und Zukunft. Ich werde mit Gottes Gnade stets meine Pflicht erfüllen und deshalb fest stehen, mag dieser oder jener politische Zustand herrschen, der oder jener am Ruder sein; ich trachte nicht nach äußeren Ehren, die ich leicht in Fülle erndten könnte, wenn ich, ohne selbst meiner Überzeugung zu schaden, einzeln schwiege, einzeln nur das Allernöthigste in der von den meisten gewählten Form vorbrächte. Mußte ich trotz des Wohlwollens Euerer Excellenz und des unablässigsten Wirkens im Lehramte, in der Praxis und in der Wissenschaft darauf verzichten, auch nur das Geringste zu erreichen, was ich zu fordern nicht geradezu ein Recht habe, habe ich keine andere Stellung als der unbedeutendste Ordinarius, so wird es mir nicht schwer werden, falls ich noch Hoffnungen hegte, diesen für die Zukunft zu entsagen. Persönlich liegt mein Schmerz gerade in dem Rücktritte Euerer Excellenz, die mir erlauben mögen, daß ich wiederhole, daß ich an Hoch Ihnen mit einer Liebe und Verehrung hänge wie an wenigen Sterblichen. Das ist’s, was mich schmerzt; einen Vorgesetzten zu verlieren, den ich liebe. Nur das wird mir einen kleinen Erfolg geben, wenn Euere Excellenz mir gestatten, auch fernerhin meinen Gefühlen von Zeit zu Zeit mindestens dadurch Ausdruck zu leihen, daß ich Ihnen meine literarischen Arbeiten überreichen darf. Durch Euere Excellenz ward mir die Gelegenheit, das von Gott mir verliehene Talent zu Seinem Dienste und zum Wohle des Staates zu verwenden. Hierauf ruhet der innerste Grund meiner Dankbarkeit, welche nur die Grabesschaufel zudecken wird.
Was aber ist mein Schmerz, wenn ich an die Zukunft denke. Ich kann mich ja keinen Täuschungen hingeben, da ich die Verhältnisse kenne. Ich sehe manche der Thaten zusammenbrechen, die Euere Excellenz in der Geschichte des Unterrichtswesens einen dauernden Platz sichern. Ich sehe den Unterricht einer unmittelbaren Vertretung beraubt, zu einem an die Seite geschobenen Hülfsmittel werden. Möchten sich meine Herzensbefürchtungen nicht bewähren! Gewiß wird dazu am Meisten beitragen, wenn Euere Excellenz, dessen Rath Seine Majestät niemals gering achten kann, auch fernerhin das Unterrichtswesen verfolgen und gegen allenfalsige Mißgriffe Ihre Stimme erheben. O möchte hierzu meine ergebenste Bitte auch beitragen! Euere Excellenz treten von Ihrem hohen Amte ab mit dem Bewußtsein: das österreichische Unterrichtswesen auf die Stufe der Gleichheit mit dem der am meisten hierin vorgeschrittenen Staaten gehoben, namentlich an den Universitäten eine Anzahl von Männern hingestellt zu haben, die sämmtlich durchdrungen von ihrer Aufgabe die Keime in treuer dankbarer Erinnerung an Hochdieselben sorgsam legen und pflegen werden, aus denen der Baum erwachsen möge, welcher über die Zukunft Österreichs ein segnendes Dach ausbreiten kann. Nie gab deshalb Seine Majestät eine hohe Auszeichnung für mehrere Verdienste, für edleres Streben. Geruhen Eeuere Excellenz hinzunehmen meinen herzlichsten Glückwunsch zu dem Großkreuz, das so schön den Thaten das Siegel aufdrückt, welche nur ein dornenvolles, mit manchem Kreuze bezeichnetes Streben, nur ein hoher Sinn, ein großer ritterlicher Muth zu vollbringen vermochte.
Möchte ich mich in den sechs Jahren meines Wirkens würdig gezeigt haben des gnädigen und freundlichen Andenkens Euerer Excellenz. Das ist der innigste Wunsch, die ergebenste Bitte, mit der unter dem Ausdrucke unbegrenzter Hochachtung, Liebe und Verehrung stets bleibt

Euerer Excellenz
gehorsamster Diener
Dr. Schulte

Prag, den 20. October 1860