Leo Thun spricht sich gegen den Vorschlag von Agenor Goluchowski aus, die Zusammensetzung des steirischen Landtages nach dem Vorbild des Tiroler Landtages zu gestalten. Tirol, so Leo Thun, könne auf Grund der Besonderheiten des Landes und der Bevölkerung nicht als Vorbild für andere Länder dienen. Die Anwesenheit von Bauern auf dem Landtag sei in Tirol historisch begründet. Grundsätzlich spricht sich Thun aber gegen die Anwesenheit von Bauern zum Landtag aus. Stattdessen sollen Gesandte die Interessen des Bauernstandes vertreten. Thun glaubt auch, dass sich besonders der Adel für den Bauernstand einsetzen und sich bei Wahlen um die Stimmen der Bauern bemühen sollte. Am Ende legt Thun seinen Vorschlag zur Beschickung der Kurien für den Landtag vor.
Leicht verändert abgedruckt in: Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867. Das Ministerium Rechberg. Bd. 2, bearbeitet von Stefan Malfèr, Wien 2007, S. 197–198.
Mein Votum aus Anlaß von Goluchowskis Vorlage über den steirischen Landtag
Für die Zusammensetzung kann Tyrol nicht zum
Vorbild dienen. Dort konnte man sich an längst bestandenes halten; der
Bauernstand war längst auf dem Landtage; zudem ist der Tyroler Bauer von den
anderen Ländern wesentlich verschieden, durch seine streng katholische
Haltung und Sitte, und durch die eigenthümliche Gestaltung des Verkehres in
dem Gebirgslande, die es möglich machen, daß bedeutende Männer unter ihnen
mehr hervortreten, und in weiteren Kreisen gekannt werden und Anerkennung
finden. Ein Andreas Hofer war eben
nur in Tyrol möglich.
Deshalb sind dort
Bauerndeputierte eher möglich als anderswo.
Auch in den andern Ländern
kann die Landbevölkerung nicht wie bisher ausgeschloßen sein von den
Landtagen. Dennoch bleibt es wahr, daß ein Bauer auf den Landtag nicht paßt.
Der Bauer ist in seiner Lebenssphäre ein durchaus konservatives Element,
aber öffentliche Angelegenheiten zu berathen, ist nicht
seine Sache. Er ist dabei der Gefahr von Demagogen, die sich um sein
Interesse am wenigsten kümmern, vorgeführt zu werden, sehr ausgesetzt. Er
kann dabei keinen selbstständigen Einfluß üben. Ja, jeder einzelne Bauer,
der wochenlang in der Stadt während des Landtages sitzt, ist allen üblen
Folgen des Müßigganges ausgesetzt, und in großer Gefahr nicht verständiger,
sondern nur in seinen Begriffen konfus gemacht und in seiner Sitte verdorben
nach Hause heimzukehren.
Wem würde es in England
einfallen, einen Bauer in's Parlament zu rufen.
Nach meiner Ansicht
handelt es sich darum der Landbevölkerung einen Einfluß auf die
Zusammensetzung des Landtages und das Gefühl dieses Einflußes zu geben, aber
nicht darum Bauern in den Landtag zu bringen, das kann zwar nicht
ausgeschloßen sein, aber eben so wenig mit einer gewissen Nöthigung
herbeigeführt werden. Vielmehr ist dahin zu wirken, daß der moralische
Einfluß der aristokratischen Elemente der Landbevölkerung sich auf den
Bauern bei den Wahlen geltend mache, und daß solche Elemente von den Bauern
als Vertreter ihrer Interessen gewählt werden können.
Auf dem Landtage sollen die Stände, d.i. die Träger gemeinsamer, ständiger sozialer Interessen vertreten sein und das Mittel, das in Tyrol das hergebrachte ist, – Vertretung durch gleiche Stimmenzahl – läßt sich nicht anwenden, wo es nun eingeführt werden müßte, zumal die Zahl für manche Stände zu dem Ende eine sehr geringe werden müßte. Soll aber bei ungleicher Zahl nicht eine Unterdrückung der schwächer vertretenen stattfinden, so gibt es nur einen Ausweg, die Bildung von Kurien für die Abstimmung – wenn auch nach gemeinsamer Berathung wenigstens für gewisse z.B. legislative Angelegenheiten.
Ich stimme für folgende Idee:
I. Kurie der Gemeinde
A.
Landbevölkerung
Die Bezirksausschüsse – gebildet aus Ortsrichtern,
Gutsherren und Friedensrichtern d.i. vom Kaiser ernannte, in dem Bezirke
domizilierende vertrauenswerthe Männer, – treten kreisweise zusammen, und
entsenden aus ihrer Mitte eine gewisse Anzahl von Personen.
B.
städtische Bevölkerung
die Vertretung größerer Städte für sich, kleinere
gemeinsam, wählen aus ihrer Mitte, dgl. die Handelskammern.
II. Prälaten
und Herrenkurie
A. Bischöfe und Deputierte der Kapitel und Stifte
B.
Standesherren und Landeswürdenträger mit Virilstimme, Abgeordnete der
adelige Fideikommißbesitzer (aber wo deren weniger sind, auch Virilstimme)
Abgeordnete der Gutsherren, kreisweise gewählt.
In der Curie ist wieder
itio in partes zuläßig, zur Wahl für die Ausschüße, in denen die Stände
gleich vertreten sein sollten, vorgeschrieben.