Leo Thun äußert sich zum Entwurf einer neuen Gewerbeordnung. Thun erkennt den grundsätzlichen Willen an, den Gewerbetreibenden größere Freiheiten zu gewähren. Er ist überzeugt davon, dass dies zu mehr Konkurrenz führen werde, was wiederum sicherstellen sollte, dass eine befürchtete Verschlechterung der erzeugten Produkte nicht stattfinden werde. Außerdem glaubt er, dass durch ein vereinfachtes Verfahren zur Anmeldung eines Gewerbes die öffentliche Verwaltung entlastet werden wird. Thun ist aber gegen eine vollkommene Liberalisierung, er möchte die Bedingungen zur Zulassung zu einem Gewerbe aber vereinfachen. Gleichzeitig ist Thun dafür, dass man möglichst an bestehende Regelungen anknüpft und nur dort vollkommen neue Regelungen findet, wo das Bedürfnis dafür bestehe.
Sogleich zu meinem Gebrauch in der heutigen Minister Conferenz abzuschreiben und mir dahin zu schicken. Thun.2
Bereitwillig erkenne ich an, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht nur in
Beziehung auf Klarheit der Redakzion, sondern auch bezüglich der darin
enthaltenen Ideen große Anerkennung verdient.
Insbesondere halte ich die
Idee für eine sehr glückliche an die Stelle der bisherigen, sehr verkommenen
Innungen einen entwicklungsfähigen genossenschaftlichen Verband, – obligatorisch
und mit Autorität, das ist mit den nothwendigen Eigenschaften jeder
sozial-politischen Instituzion versehen – zu setzen.
Eben so freudig begrüße
ich das Bestreben die Kluft zwischen Handwerk und fabrikmäßigem Gewerbsbetriebe,
welche die soziale <Bedeutung der Innungen zerstört> 3, zu
beseitigen.
Ebenso bereitwillig erkenne ich auch die Nothwendigkeit an, dem
Gewerbsbetriebe eine größere Freiheit der Bewegung zu gewähren, als sie bisher
bezüglich der zünftigen Gewerbe bei uns besteht. Als unerlässliche Forderung
erscheint mir in dieser Beziehung der in § 45 ausgesprochene Grundsatz, daß
jeder Gewerbtreibende alle zur vollkommenen Herstellung seiner Erzeugnisse
nöthigen Arbeiten zu vereinigen befugt ist. Wird das zugestanden, so ist für
Gesellen und Meister der unbehinderte Übergang von einem Gewerbe zu einem
anderen, das eine oder andere mag bisher zünftig oder frei gewesen sein,
unerläßlich, die Aufrechthaltung der dermal bestehenden Eintheilung und
Unterscheidung der zünftigen Gewerbe, welche überdies ohnehin großentheils ganz
unverständig ist, <eben so wie> 4
die strenge Scheidung der bisher zünftigen von den freien Gewerben, ganz
unmöglich. Damit <fällt auch die Grundlage der bisherigen Vorschriften über
den Antritt zünftiger Gewerbe zusammen.> 5
An die Stelle derselben setzt der
Gesetzentwurf die unbedingte Freiheit des Antrittes.
Ich gebe zu, daß irgend
welche Beschränkung derselben im Interesse des Publikums nicht nothwendig ist.
Wer gute Waren finden will, ist auch jetzt der Mühe nicht enthoben, den zu
suchen, der sie verfertigt und es ist wahrlich kein Grund vorhanden ihn dieser
Mühe entheben zu wollen. Er wird auch ohne Zweifel die guten Waren um so
leichter finden, je mehr Spielraum der Konkurrenz der Erzeuger gewährt
ist.
Verstand verletzenden Meinung Anlaß zu geben, die Regierung lege auf
die ordentliche Erlernung gar keinen Werth und halte jeden hergelaufenen
Schwindler für eben so berücksichtigungswerth 6 als den soliden Meister und Gesellen. 7
Ich würde wünschen, daß die
Gewerbeordnung statt alle mögliche gewerbliche Thätigkeit in durchaus
gemeinsamen §§ zu behandeln, weshalb dabei selbst von dem hergebrachten
Sprachgebrauch abgesehen werden muß, die Verschiedenheit der Aufgabe ersichtlich
machte, welche einerseits bezüglich der bisher zünftigen und andererseits
bezüglich der schon jetzt freien Gewerbe zu lösen ist, es handelt sich darum
diesen eine soziale Organisazion zu geben, jene von beengenden Schranken zu
befreien. In letzterer Beziehung dürften im Wesentlichen folgende Bestimmungen
genügen:
Ein bisher zünftiges Gewerbe darf in Zukunft selbstständig
betreiben:
Über bloßen Ausweis bei der Ortsbehörde
1) Jeder, der Geselle
dieser oder eines verwandten Gewerbes geworden ist und als solcher durch
wenigstens 2 Jahre gearbeitet hat.
Ein Geselle wird auch in Zukunft durch
die Innung freigesprochen, wer entweder als Lehrling durch wenigstens 3 Jahre
das Gewerbe erlernt oder durch 3 Jahre als Gehilfe in demselben gearbeitet hat,
in beiden Fällen nach Erprobung seiner Befähigung.
Der Geselle hat Anspruch
auf die Fürsorge, welche die Innung für das materielle Wohl der Gesellen durch
Gesellenkassen, Krankverpflegung und drgl. trifft, ferner auch die Wahl zum
Vertreter in Streitsachen (§ 121).
Wer in einer Innung Geselle geworden ist,
muß in jeder anderen Innung als Geselle anerkannt werden, sobald er bei einem
Glied derselben als Gehülfe in Arbeit steht.
2) Wenn ein Verwandtes bisher
freies Gewerbe durch wenigstens drei Jahre selbständig und aufrecht betrieben
oder in einem solchen durch wenigstens 6 Jahre als Gehilfe gearbeitet
hat.
3) Wer sich durch höhere Bildung zur Leitung der beabsichtigten
Gewerbsunternehmung die Befähigung erworben hat. Hierüber hat die politische
Landesstelle nach Einvernehmung der Innung und der Handels- und Gewerbekammer zu
entscheiden.
So schwankend diese Bestimmung ist, so dürfte sie doch
keineswegs in der Ausführung besonderen Schwierigkeiten unterliegen, denn sie
ist nichts als das Analoge der bisherigen Konzession zu fabriksmäßigen
Gewerbeunternehmungen und unterscheidet sich davon nur dadurch, daß diese
Unternehmungen künftig in den Innungsverband einbezogen werden.
Wenn sich
unter den bisher freien Gewerben Genossenschaften bilden, so steht es ihnen frei
durch ihre Statuten die voranstehenden Bestimmungen über das Gesellenwesen
ebenfalls zur Geltung zu bringen. Es versteht sich von selbst, daß sodann auf
die Gesellen ihres Gewerbes alles Anwendung findet, was aber über die
Berechtigung zum selbstständigen Betreiben der bisher zünftigen Gewerbe so wie
über den Übertritt der Gesellen in dieselben gesagt ist.
Ich glaube nicht, daß durch diese Bestimmungen die Freiheit des Gewerbetreibens,
die die vorliegende Gewerbeordnung anstrebt, wesentlich beengt, und also in
Beziehung auf die Belebung der industriellen Thätigkeit und die Konkurrenz im
Gewerbe ein sehr verschiedenes Resultat erreicht wird.
Dieser Umstand kann
nun allerdings auch gegen meinen Vorschlag geltend gemacht werden, zumal ich
unbedingt zugeben muß, daß der Entwurf des Herrn Handelsministers in Beziehung
auf Geschäftsverminderung der Behörden und Einfachheit des Gesetzes entschieden
den Vorzug hat.
Allein dem offenbaren Schwindel und der cynischen Ausbeutung
des soliden Handwerkers durch bloße Spekulanten, welche auch der Herr
Handelsminister sicherlich nicht als etwas an sich gutes, sondern höchstens als
etwas betrachten dürfte, was ohne größeren Nachtheil zu erzeugen nicht fern
gehalten werden könne, würde dadurch doch einigermaßen und wie ich glaube, ohne
Nachtheil für die Industrie vorgebeugt werden. Das dürfte unbestreitbar sein,
wenn man sich veranschaulicht, in welcher Weise sich die Juden den einen und en
anderen Vorschlag zu Nutzen machen würden.
Abgesehen hiervon sind die Motive
meiner abweichenden Meinung allerdings nicht auf dem Gebiethe der
Gewerbepolizei, sondern in den Eingangs erwähnten Betrachtungen zu finden, die
sich auf den moralischen Eindruck des Gesetzes beziehen.
Ich bin auch damit
einverstanden, daß denjenigen die ein Gewerbe betreiben, nicht die Macht
eingeräumt sein soll, jemanden nur deshalb davon auszuschließen, um ihn nicht an
ihrem Erwerbe Theil nehmen zu lassen, daß vielmehr jedem erlaubt sein soll,
seinen redlichen Erwerb durch die Erzeugung dessen zu gewinnen, was er
herzustellen vermag.
Ich gebe endlich zu, daß diese zugestandenen Sätze ihre
konsequenteste Durchsetzung nur in dem Systeme der Gewerbsgesetzgebung finden,
welches der Herr Handelsminister vorschlägt.
Allein so nothwendig es ist,
daß bei jeder legislativen Arbeit ein theoretisch wichtiges System vorschwebe,
welchem die leitenden Gedanken entnommen sind, so bin ich doch nicht der
Meinung, daß die Aufgabe der Legislazion mit der Aufstellung eines theoretisch
richtigen Systems zusammenfalle.
Nach meiner Überzeugung ist die vorliegende
Gewerbeordnung zu abstrakt. Für die Theorie ist es ein Verdienst, an die Stelle
einer Begriffsverweisung ein neues konsequentes System zu setzen. In der
praktischen Legislazion halte ich es immer für wünschenswerth nicht etwas ganz
Neues zu schaffen, sondern an das bestehende anzuknüpfen und es nur in so weit
zu verbessern als es nothwendig ist, um anerkannten Bedürfnissen zu genügen, in
der Sache und in Ausdrücken aber beizubehalten, was ohne Nachtheil beibehalten
werden kann.
Muß selbst soviel geändert werden, daß der Zustand jedenfalls
ein wesentlich neuer wird, so ist es doch ein moralischer Gewinn, daß der neue
Zustand sich nur als eine Reform ankündige.
Das Neue findet so leichteren
Eingang und es reizt weniger auf der einen Seite zur Unzufriedenheit auf der
anderen zur Überhebung, und zerstört nicht die Achtung, die in allen Dingen dem
bestehenden in so weit gezollt werden soll, als nicht seine Unhaltbarkeit
nachgewiesen ist.
Das zünftige Gewerbswesen ist auf die regelmäßige
Erlernung gegründet. Das ist an sich etwas ganz Vernünftiges. Auch bei voller
Gewerbefreiheit wird es die Regel bleiben. Eben deshalb ist es eben auch ohne
Nachtheil, es gesetzlich auszusprechen, und nicht zu dem für den jetzigen, nach
den Zunftregeln herangebildeten Handwerker 8