Graf Heinrich Clam-Martinic legt in seiner Funktion als Mitglied der Kommission für die Neueinteilung der Bezirksgrenzen in Böhmen einen alternativen Entwurf für die Einteilung dieser Grenzen vor. Sein Entwurf nimmt die ehemaligen Dominiengrenzen zur Grundlage der Einteilung der Bezirke. Aus der Sicht von Clam-Martinic würde damit eine Grenzziehung ermöglicht, die historisch gewachsen ist und der damit auch nicht der revolutionäre Beigeschmack der derzeitigen Einteilung anhaften würde. Er glaubt, dass nur eine Einteilung von Verwaltungseinheiten, die auf historisch gewachsenen Traditionen fußen, eine gute und von der Bevölkerung anerkannte Verwaltung ermögliche und damit auch den Fortbestand der Monarchie sichern könne.
Gekürzt abgedruckt in: Ralph Melville, Adel und Revolution in Böhmen, Mainz 1998, S. 366–368.
Votum separatum
In den Kommissionsberathungen über die Frage, auf welcher Grundlage die
Bezirkseintheilung in Böhmen durchzuführen sei,
habe ich im Wesentlichen nur dahin mich auszusprechen Gelegenheit gehabt, daß
nach meiner Überzeugung durch die uns gegebene Instruktion in Entgegenhaltung zu
den allerhöchst sanktionirten Grundzügen vom 31. December 18511 diese Frage darum keineswegs als prinzipiell
gelöst zu betrachten sei, weil das Prinzip, nach welchem die in Aussicht
gestellte besondere Stellung des großen, ehemals herrschaftlichen Grundbesitzes
geregelt werden soll, nicht festgestellt erscheint oder wenigstens der
Kommission nicht bekannt ist, und weil es jedenfalls im Bereiche der Möglichkeit
liegt, daß diese Stellung eine solche werden soll, daß die Vereinigung der
dermal zerrißenen frühern herrschaftlichen Besitzcomplexe in der untersten
administrativen Eintheilung als ein nothwendiges Corrolar derselben, als eine
Conditio sine qua non sich darstellen wird. Ich habe es eben deshalb für eine
Pflicht der Kommission angesehen, sich in dieser wichtigen Frage Licht zu
verschaffen, um nicht durch die neue Abgrenzung der Bezirke, also durch eine
wesentlich administrative Maßregel der prinzipiellen Lösung einer in der
höchsten Bedeutung des Wortes legislatorischen Frage vorzugreifen und derselben
möglicherweise Hemmnisse in den Weg zu legen. Dieser Meinung ist die Kommission
ihrer Mehrheit nach beigetreten. Ich habe den Entwurf einer Eintheilung, bei
welcher die möglichste Beibehaltung der Dominiengrenzen als Grundsatz
festgehalten wurde, ausgearbeitet und glaube durch denselben dargethan zu haben,
daß sich der Durchführung dieses Prinzips keine unübersteiglichen Hindernisse in
den Weg stellen; und ebenso wie ich anerkannt habe, daß vom bloßen Standpunkte
der leichten und bequemen Administrirbarkeit die Beibehaltung der dermaligen
Eintheilung mutatis mutandis den Vorzug verdiene, daß ferner durch das Verlassen
dieser Eintheilung, soweit es durch die Rückkehr zu den Dominiengrenzen bedingt
ist, für die Übergangsperiode wesentliche Schwierigkeiten erwachsen, ebenso habe
ich behauptet und fühle mich verpflichtet, es zu verfechten, daß diese
Schwierigkeiten sowohl als die einseitige Rücksicht auf die Bedürfnisse einer
leichten und bequemen Administration oder eigentlich mehr der Bequemlichkeit der
Administrirten jedenfalls sekundäre Motive sind, so lange es sich um eine der
wichtigsten prinzipiellen Fragen handelt, und zwar schon aus der Rücksicht, weil
die in der Übergangsperiode einen Zeitraum von jedenfalls begrenzter Dauer
hervortretenden Übelstände durchaus nicht auf eine Linie gestellt werden können
mit den in die Zukunft hinüberragenden Consequenzen des Prinzips der
Organisation und weil anderseits durch den jahrhundertelangen Bestand der
Dominieneintheilung der Beweis geliefert ist, daß mit derselben eine geregelte
Administration durchaus nicht unvereinbar ist.
Über das Prinzip selbst sich
auszusprechen, hielt ich nicht für die Aufgabe der Kommission; bei der Art und
Weise aber, wie die Frage mit Bezug auf die Kommissionsarbeiten zum
interimistischen Abschluße gediehen ist und zur Vorlage höchsten Orts gelangen
soll, halte ich mich für berufen und verpflichtet, meiner bei den
Kommissionsberathungen in formeller Beziehung ausgesprochenen Ansicht, in
welcher Beziehung ich mich auf die in den Protokollen enthaltenen Äußerungen
berufe, auch noch beizufügen, daß ich mich nach meiner innigsten Überzeugung
unbedingt auch in prinzipieller Rücksicht für die möglichste Rückkehr zu der
frühern Dominieneintheilung aussprechen muß. Ich bin fest überzeugt, daß die
Frage der Stellung des herrschaftlichen Grundbesitzes von entscheidendem Einfluß
auf die Vitalität und organische Begründung der neuen Einrichtungen ist.
In
derselben liegt die Möglichkeit, aus der dermaligen, aus den revolutionären
Umwälzungen hervorgegangenen und den Stämpel ihres Ursprungs tragenden innern
Gliederung des Staates, welche eine wesentlich atomische und eben deshalb
anorganische ist, zu einer auf neuen, den geänderten Verhältnissen
entsprechenden organischen Verbänden berechnenden zu gelangen.
Dieser
Möglichkeit eines organischen Bildungsprozesses nicht absolut hemmend in den Weg
zu treten, scheint mir von so alles überwiegender Wichtigkeit, daß momentane und
rein administrative Übelstände wohl jedenfalls in den Hintergrund treten
müßten.
Solche Schwierigkeiten, und zwar in noch viel höherm Maße, wurden
bei der Organisation im Jahre 1849–1850 ohne irgend eine Nothwendigkeit
heraufbeschworen; sie sind überwunden worden; die Folgen des Prinzips dieser
Organisation aber, die mannigfachen Consequenzen eines willkührlichen
Zerschneidens und Zerreißens von historisch gewordenen Institutionen dauern fort
als ebenso viele brennende Fragen, deren Lösung bisher nicht gelungen ist; eben
so und noch leichter werden sich diese Übergangsschwierigkeiten dermal
überwinden lassen, wo sie sich nicht als Folgen einer willkührlichen, nach der
Schablone ausgearbeiteten Maßregel darstellen, sondern der Durchführung eines
höhern Prinzips zum Opfer gebracht werden, jene brennenden Fragen aber werden
auf dem einzig möglichen Wege ihrer naturgemäßen Lösung zugeführt.
Und
selbst vom Standpunkte der Administration glaube ich, das Prinzip vertheidigen
zu müssen.
Was die Wirksamkeit der neu errichteten untersten
landesfürstlichen Ämter lähmte, was denselben in jeder Beziehung hemmend in den
Weg trat, war eben der Mangel eines gesunden Organismus nach unten.
Die
Erfahrung hat laut und unwiderleglich dafür gesprochen, daß die Communalen
Institutionen, wie sie dermalen bestehen, keinen Grund gefaßt haben, daß sie den
Bedürfnissen, thatsächlichen Verhältnissen und vorhandenen Elementen in keiner
Weise entsprachen, daß die Organe der Gemeinden den Behörden von keiner Hülfe,
daß sie diesen gegenüber in demselben Stande der Unmündigkeit, wie die einzelnen
Individuen, sind, dieses Übel wird unverändert bleiben, mag das Gemeindegesetz
noch so sehr umgeändert, der Wirkungskreis der Gemeindeorgane noch so sehr
eingeschränkt werden. Durch eine solche durchgreifende Einschränkung werden nur
die Angelegenheiten communaler und localer Natur in die Hände der Behörden
gelegt, diese aber wieder nur einem vollends anorganischen Maße von zu
administrirenden Atomen gegenüber gestellt.
Ob dieselben in einer solchen
Stellung, möge ihr Wirkungskreis in territorialer Beziehung noch so unabgegränzt
seyn, eine thatkräftige Wirksamkeit werden entfalten können, erscheint mir mehr
als zweifelhaft und ich komme eben deshalb auf meine früher ausgesprochene
Ansicht zurück, daß es gerade im nächsten Bedürfnisse der Administration liegt,
durch die neue Organisation der Behörden, die Möglichkeit der Bildung
organischer Verbände nicht nur nicht abzuschneiden, sondern vielmehr wie immer
thunlich anzubahnen. Eine solche Möglichkeit liegt aber, da sie im comunalen
Organismus nicht zu finden ist, nur in einer neben der Comune stehenden
Institution und es stellt sich als eine solche, wenn auch in unbestimmten
Umrissen, eben jene Stellung des großen Grundbesitzes dar. Daß ich von der
Überzeugung durchdrungen bin, daß diese Stellung keineswegs auch im Entfernten
auf den frühern Grundlagen, sondern nur auf neuen Basen begründet werden kann,
welche den neuen Verhältnissen und den im Mittel liegenden Thatsachen, die die
Continuität der historischen Entwicklung unterbrochen haben, entsprechen, glaube
ich wohl kaum besonders aussprechen zu müssen. Meine Ansicht über die Art dieser
Stellung niederzulegen, bin ich nicht berufen, möge sie aber in welcher Weise
immer geregelt werden, so muß sie doch, um jenem oben erwähnten Bedürfnisse,
jenem Berufe, den ich angedeutet habe, zu entsprechen, nicht bloß innerhalb der
einzelnen Ortsgemeinde ihre Abgrenzung finden, sie muß sich auf den ein Ganzes
bildenden ehemaligen herrschaftlichen Grundbesitz basiren, und eben deshalb ist
die Vereinigung des Gebiethes in der untersten administrativen Eintheilung, wie
ich es früher erwähnte, die conditio sine qua non einer solchen
Institution.
Endlich muß ich mir noch erlauben, eine weitere gewichtige
Rücksicht hervorzuheben.
Eine Gebietsabgrenzung vom bloßen Standpunkte der
bequemen Administrirbarkeit oder, wie gesagt, eigentlich der Bequemlichkeit der
zu Administrirenden, ist und bleibt eine willkührliche. Es ist eine faktische
Unmöglichkeit, den Wünschen und Ansprüchen Aller gleichmäßig gerecht zu werden.
Immer wird und muß es Gemeinden oder Individuen geben, deren Wünsche und
Begehren nicht berücksichtigt werden können, schon darum, weil sehr oft, um
denselben zu fügen, jenen andern Gemeinden oder Individuen entgegengetreten
werden müßte. Und doch hätten bei dem zu Haupte gestellten Prinzip alle
Ansprüche gleiches Recht auf Gewährung und es hätte eine solche Eintheilung nur
dann eine innere Berechtigung, wenn sie allen gerechten Wünschen, allen
wirklichen Interessen entsprächen, was nie und nimmer der Fall seyn kann, wenn
auch davon abgesehen werden wollte, daß hiebei ein unendlicher Spielraum für die
individuelle Auffassung, ja selbst für Willkühr geöffnet bleibt.
Anders ist
es, wenn diese Eintheilung auf ein höheres Prinzip basirt, namentlich wenn sie
auf eine historisch entwickelte Grundlage gebaut wird. Hier ist ein fester
Maßstab, eine entschiedene Richtschnur geboten und die Prätensionen und Wünsche
des Einzelnen treten vor der Authorität des Prinzips zurück.
Die Regierung
ist jetzt, wo sie zu einer neuen Organisation schreitet, die sie aus freier
Machtvollkommenheit, unbeirrt durch äußere Einwirkungen durchführt, noch in der
glücklichen Lage, an eine historisch gewordene Grundlage anknüpfen zu können,
welche der 3jährige Bestand einer gemachten Institution ganz zu brechen nicht
vermochte. Es ist dies meiner Ansicht nach eine der glücklichsten Vorbedingungen
für das große Werk, eines der günstigsten Auspicien für dessen Bestand und
Lebensfähigkeit, eine Thatsache von um so größerem Werth, als sie, wenn nicht
vorhanden, durch keine Macht geschaffen werden könnte; diese günstige
Constellation aber jetzt, wo es noch Zeit ist, zu benützen und zu Gute zu
machen, scheint mir von mehr Gewicht für die neue Organisation, als alle noch so
vollkommen entworfenen Schemas und Schablonen und es drängt mich das Bewußtseyn
meiner angelobten Pflicht, diese meine innerste Überzeugung ohne Rückhalt
ehrfurchtsvoll auszusprechen.
Prag, am ... März 18532
Graf Clam-Martinitz mp