Felix Schwarzenberg übermittelt Leo Thun die im Allerhöchsten Handschreiben vom 31. Dezember 1851 angeführten Grundsätze für die neue Gesetzgebung des Reiches. Die Grundsätze betreffen vor allem Vorgaben für die Regelung der Verwaltung auf den unterschiedlichen Ebenen und die Neuordnung der Rechtssprechung. Die Resultate der sich an diesen Grundsätzen orientierenden Beratungen sollen dem Kaiser vorgelegt werden. Im zweiten beigelegten Schreiben werden Stellung und Aufgaben der Ministerkonferenz behandelt.
Verweis auf A3 XXI D149.
Beilagen:
Abschrift der "Grundsätze für
organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen
Kaiserstaates".
Abschrift der
"Allerhöchsten Bestimmungen über die Ministerkonferenzen".
Teilweise abgedruckt in: Fritz Reinöhl, Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei, Wien 1963, S. 171.
In Folge Allerhöchsten Handschreibens vom 31. vorigen Monats habe ich die Ehre Euerer Exzellenz in der Beilage die von Seiner Majestät dem Kaiser nach Anhörung des Minister- und Reichsrathes in den zunächst wichtigsten und dringendsten Richtungen der organischen Gesetzgebung festgestellten Grundsätze mit der Bemerkung zu übermitteln, daß die Resultate der sich auf die Ausführung beziehenden Arbeiten Seiner k.k. Apostolischen Majestät vorzulegen seyn werden.
Wien, am 4. Jänner [1]852
F. Schwarzenberg
Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates1
1. Die unter den alten historischen oder neuen Titeln mit dem
österreichischen Kaiserstaate vereinigten Länder bilden die untrennbaren
Bestandtheile der österreichisch kaiserlichen Erbmonarchie.
2. Der Name
„Kronländer“ soll in der ämtlichen Sprache nur als allgemeine Bezeichnung
gebraucht, bei besonderer Benennung eines Landes aber stets die demselben
zukommende eigene Titelbezeichnung ausgedrückt werden.
3. Der Umfang der
Kronländer soll mit Vorbehalt der aus Verwaltungsrücksichten begründeten
Veränderungen beobachtet werden.
4. In jedem Kronlande sind
landesfürstliche Bezirksämter (unter den üblichen Landesbenennungen) in
angemessenen Bereichen aufzustellen und in denselben so viel möglich die
verschiedenen Verwaltungszweige inner bestimmten Gränzen der Wirksamkeit zu
vereinigen.
5. Über die Bezirksämter werden unter den üblichen
Landesbenennungen in administrativer Hinsicht Kreisbehörden (Komitate,
Delegationen u. dgl.) aufgestellt. Der räumliche Umfang derselben wird mit
Rücksicht auf die in früherer Zeit bestandenen Eintheilungen und mit
Beachtung der gegenwärtigen Bedürfnisse zu bestimmen seyn.
In kleinen
Kronländern, so wie überhaupt, wo kein Bedürfnis zur Aufstellung von
Kreisbehörden eintreten sollte, werden solche entfallen.
Die
Kreisbehörden sind der Landesstelle (Punkt 6) untergeordnet und haben theils
einen überwachenden, theils einen ausübenden und administrativen
Wirkungskreis.
6. Über den Kreisbehörden steht in den Kronländern die
Statthalterei und der Landeschef. Besondere Bestimmungen werden die
Geschäftsbehandlung, den Wirkungskreis der Statthalterei, die Stellung und
die Vollmachten des Landeschefs und die Unterordnung unter die höchsten
Authoritäten festsetzen.
7. Als Ortsgemeinden werden die faktisch
bestandenen oder bestehenden Gemeinden angesehen, ohne deren Vereinigung da,
wo sie nothwendig ist oder begründet gewünscht wird, nach Maßgabe der
Bedürfnisse und Interessen auszuschließen.
8. Bei der Organisirung der
Ortsgemeinden ist der Unterschied zwischen Land- und Stadtgemeinden,
besonders in Ansehung der Letzeren die frühere Eigenschaft und besondere
Stellung der königlichen und landesfürstlichen Städte gehörig zu
berücksichtigen.
9. Bei der Bestimmung der Landgemeinden kann der
vormals herrschaftliche große Grundbesitz unter bestimmten in jedem Lande
näher zu bezeichnenden Bedingungen von dem Verbande der Ortsgemeinden
ausgeschieden und unmittelbar den Bezirksämtern untergeordnet werden.
Mehrere vormals herrschaftliche unmittelbar anstoßende Gebiethe können sich
für diesen Zweck vereinigen.
10. Die Gemeindevorstände der Land- und
Stadtgemeinden sollen der Bestätigung und nach Umständen selbst der
Ernennung der Regierung vorbehalten werden. Es soll deren Beeidigung für
Treue und Gehorsam an den Monarchen und gewissenhafte Erfüllung ihrer
sonstigen Pflichten statt finden. Auch sollen da, wo die
Gemeindeverhältnisse es räthlich machen, höhere Kathegorien von
Gemeindebeamten der Bestätigung der Regierung unterzogen werden.
11. Die
Wahl der Gemeindevorstände und Gemeindeausschüsse wird nach zu bestimmenden
Wahlordnungen den Gemeinden aus den gesetzlichen Vorbehalten
zugestanden.
12. Die Titelnamen der Gemeindevorstände und
Gemeindeausschüsse sind nach den früher bestandenen landesüblichen
Gewohnheiten zu bestimmen.
13. Der Wirkungskreis der Gemeinden soll sich
im Allgemeinen auf ihre Gemeindeangelegenheiten beschränken, jedoch mit der
Verbindlichkeit für die Gemeinden und deren Vorstände, der vorgesetzten
landesfürstlichen Behörde in allen öffentlichen Angelegenheiten, die durch
allgemeine oder besondere Anordnungen bestimmte und in Anspruch genommene
Mitwirkung zu leisten.
Auch in den eigenen Gemeindeangelegenheiten
sollen wichtigere, in den Gemeindeordnungen näher zu bestimmende Akte und
Beschlüsse der Gemeinden der Prüfung und Bestätigung den landesfürstlichen
Behörden vorbehalten werden.
14. Die Öffentlichkeit der
Gemeindeverhandlungen mit Ausnahme besonderer feierlicher Akte ist
abzustellen, ohne für die betheiligten Gemeindemitglieder die Einsichtnahme
besonderer Gegenstände zu beseitigen.
15. Die Gemeinden werden in der
Regel den Bezirksämtern und nur ausnahmsweise nach Verhältnis ihrer
besonderen Eigenthümlichkeiten den Kreisbehörden oder den Statthaltereien
unmittelbar untergeordnet.
16. Nach diesen Grundsätzen sind für jedes
Land den besonderen Verhältnissen desselben entsprechende Ordnungen für die
Landgemeinden und für die Städte zu bearbeiten. Es ist bei diesen Arbeiten
ferner von dem Gesichtspunkte auszugehen, daß den überwiegenden Interessen
auch ein überwiegender Einfluß zugestanden und sowohl bei den Activ- und
Passivwahlen für die Bestellung der Gemeindevorstände und Ausschüsse, als in
den Gemeindeangelegenheiten dem Grundbesitze nach Maßgabe seiner in den
Gemeindeverband einbezogenen Ausdehnung und seines Steuerwerthes, dem
Gewerbsbetriebe aber in dem Verhältnisse zu dem Gesammtgrundbesitze, in den
Stadtgemeinden insbesondere dem Hausbesitze – dann so viel möglich den
Korporazionen für geistige und materielle Zwecke das entscheidende
Übergewicht gesichert werde.
Im Lombardisch-Venezianischen Königreiche ist die daselbst
bestehende Gemeindeordnung mit dem Vorbehalte allfälliger durch Erfahrung
hervorgerufener Verbesserungen aufrecht zu erhalten.
17. Das Richteramt
wird im ganzen Reiche von den dazu bestellten Behörden und Gerichten nach
den bestehenden Gesetzen im Namen Seiner kaiserlichen königlichen
Apostolischen Majestät ausgeübt.
18. Die Justizbeamten und Richter sind
mit Wahrung ihrer Selbstständigkeit bei der gesetzlichen Ausübung des
Richteramtes in Absicht auf ihre sonstigen persönlichen Dienstbeziehungen
nach den für die Staatsbeamten bestehenden Vorschriften zu behandeln.
19. Die Trennung der Justizpflege von den Verwaltungsbehörden soll bei
den Justizkollegialgerichten, dann den 2. und 3. Instanzen allgemein, bei
den 1. Instanzen aber im Lombardisch-Venezianischen Königreiche und dort, wo es als
unerläßlich anerkannt wird, statt finden.
Sonst ist bei den
Einzelngerichten als 1. Instanzen die Vereinigung mit der Verwaltung im
Bezirksamte anzunehmen.
In der inneren Einrichtung dieser Bezirksämter
(siehe Punkt 4) kann aber nach Umständen ein eigener Gerichts- oder
politischer Beamte zugetheilt werden, je nachdem die Verhältnisse es
erfordern.
20. Sowohl in streitigen als nicht streitigen Civil- wie in
Strafsachen sollen drei Instanzen bestehen:
21. Die rein juridischen
sowie die mit der politischen Verwaltung als Bezirksämter fungirenden ersten
Instanzen sind für Civilangelegenheiten inner zu bestimmenden Grenzen – für
Übertretungen und besonders zu bezeichnende Vergehen – für Erhebungen des
Thatbestandes und alle Hilfeleistungen zum Behufe und zur Unterstützung der
Strafgerichte berufen.
22. In angemessenen Distrikten, so viel thunlich
mit Rücksicht auf die politische Eintheilung der Länder, werden
Collegialgerichte als erste Instanzen für das Richteramt über Verbrechen und
besonders bezeichnete Vergehen, dann für alle solche Rechtsangelegenheiten,
welche die Grenzen der Wirksamkeit der Bezirksämter übersteigen, eingesetzt.
23. Zur Behandlung der Civil- und Strafangelegenheiten in 2. Instanz
sind Oberlandesgerichte mit Rücksicht und Beschränkung auf das strengste
Bedürfnis zu bestellen.
24. Der Oberste Gerichtshof hat als 3. Instanz
zu bestehen.
25. Bei Übertretungen und Vergehen, in so ferne die
letzteren den Bezirksämtern zugewiesen sind, findet das inquisitorische
Verfahren in möglichst einfacher Form statt.
26. In den Strafsachen,
welche von den Collegialgerichten zu verhandeln sind, ist der Grundsatz der
Anklage, der Bestellung eines Vertheidigers für den Angeklagten und der
Mündlichkeit im Schlußverfahren zu beobachten.
27. Das Verfahren ist
nicht öffentlich, es wird aber bei der mündlichen Verhandlung in 1. Instanz
dem Angeklagten mit Bewilligung des Präsidenten sowie dem letzteren das
Recht eingeräumt, Zuhörer bis auf eine bestimmte Zahl zuzulassen.
28.
Die Anklage ist durch die Staatsanwaltschaft zu vermitteln, deren
Wirkungskreis auf den Strafprozeß zu beschränken ist.
29. Die
Schwurgerichte sind zu beseitigen.
30. Die Urtheile sind nur von
geprüften Richtern zu schöpfen. Die Urtheilsformen in Strafsachen sind
„schuldig“, „schuldlos“ , „Freisprechung von der Anklage“.
31. Das
Verfahren bei den Oberlandesgerichten und dem Obersten Gerichtshofe ist nur
schriftlich.
32. Die näheren Bestimmungen der Wirksamkeit der
Gerichtsbehörden werden die hierüber zu erlassenden Gesetze enthalten.
33. Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch soll als das gemeinsame Recht
für alle Angehörige des österreichischen Staates auch in jenen Ländern, in
welchen es dermal noch nicht Geltung hat, nach und mit den angemessenen
Vorbereitungen, dann mit Beachtung der eigenthümlichen Verhältnisse
derselben, eingeführt und eben so das Strafgesetz für den ganzen Umfang des
Reiches in Wirksamkeit gesetzt werden.
34. In den Kronländern werden
eigene Statute über den ständischen oder den mit einem zu bestimmenden
Grundbesitze versehenen Erbadel, seine Vorzüge und Pflichten errichtet,
insbesondere demselben alle thunliche Erleichterung zur Errichtung von
Majoraten und Fideikommissen zugestanden werden. Bei der Bauernschaft sind
dort, wo besondere Vorschriften zur Erhaltung ihrer Güterkomplexe bestehen,
solche aufrecht zu erhalten.
35. Den Kreisbehörden und Statthaltereien
werden berathende Ausschüsse aus dem besitzenden Erbadel, dem großen und
kleinen Grundbesitze und der Industrie mit gehöriger Bezeichnung der Objekte
und des Umfanges ihrer Wirksamkeit an die Seite gestellt. Insoferne noch
andere Faktoren zur Beiziehung in die Ausschüsse sich als wünschenswerth
darstellen, ist nach Umständen darauf Rücksicht zu nehmen.
36. Bei den
landesfürstlichen Bezirksämtern sollen Vorstände der einbezirkten Gemeinden
und Eigentühmer des außer dem Gemeindeverbande stehenden großen
Grundbesitzes oder deren Bevollmächtigte für Zusammentretungen in ihren
Angelegenheiten von Zeit zu Zeit einberufen werden.
Allerhöchste Bestimmungen über die Ministerconferenzen
§ 1. Die Minister haben sich unter der ordnenden Leitung ihres Präsidiums zum
Behufe gemeinschaftlicher Berathungen zu versammeln, deren Gegenstände und
Wirkungen in den nachfolgenden Bestimmungen näher bezeichnet werden.
Seine Majestät behalten Sich vor, für den Zweck der Ordnung dieser
Berathungen einen leitenden Präsidenten zu bestimmen, welcher als Präsident
der Ministerconferenzen zu fungiren hat.
§ 2. Da den Ministern nach dem
Inhalte des Allerhöchsten Cabinetsschreibens vom 20. August 18512 die Initiative in allen Angelegenheiten
der Gesetzgebung und Verwaltung zukommt, so sind alle Angelegenheiten der
judiciellen und administrativen Gesetzgebung, in so fern sie nicht bloße
Verordnungen zum Behufe der Vollziehung betreffen, dann alle organischen
Einrichtungen als Gegenstände der gemeinschaftlichen Ministerconferenz
anzusehen. Die Ergebnisse dieser Berathung sind stets der Allerhöchsten
Schlußfassung vorbehalten.
Es versteht sich von selbst, daß, wenn Seine
Majestät Ministerconferenzen über bestimmte Angelegenheiten besonders
anzuordnen finden, solche einzutreten haben und deren Resultate Seiner
Majestät vorzulegen sind.
§ 3. Gegenstände der Verwaltung und
Vollziehung gehören in den Bereich der Wirksamkeit und Verantwortung der
einzelnen Minister.
Es steht jedoch jedem einzelnen Minister das Recht
zu, Angelegenheiten, worüber ein einzelner Minister den Rath seiner Collegen
einzuholen wünscht oder welche in die Wirksamkeit zweier oder mehrerer
Ministerien einschlagen, über welche im kürzesten Wege eine Verständigung,
zumal wenn vorausgegangene Rücksprachen nicht dazu führen konnten, erwirkt
werden will, in eine Ministerconferenz zu bringen und in Verhandlung nehmen
zu lassen.
Wenn der betheiligte Minister in solchen Fällen sich mit den
übrigen Stimmen der Ministerconferenz nicht vereinigen zu können glaubt, so
ist der Gegenstand der Allerhöchsten Schlußfassung zu unterziehen.
§ 4.
Gesuche, Vorstellungen und Beschwerden, welche an das Gesammtministerium
unmittelbar gerichtet werden, sind lediglich in das Cabinet Seiner Majestät
abzugeben und nie unmittelbar zu bescheiden.
§ 5. Der leitende Präsident
hat dafür zu sorgen, daß solche statistischen Daten, ferner solche
Vorkommnisse und Erfolge in den äußern Angelegenheiten des Handelsverkehrs
und der inneren Verwaltung, welche wegen ihrer Wichtigkeit geeignet sind, in
den verschiedenen Zweigen der Ministerien beachtet und benützt zu werden,
bei den Ministerconferenzen mitgetheilt und besprochen werden.
§ 6. Dem
Präsidenten der Ministerconferenzen ist es überlassen die
Personalangelegenheiten der Ministerconferenzkanzlei inner den jedem
Minister in seinem Zweige zustehenden Befugnissen zu leiten und zu
besorgen.