George Phillips, Professor an der Universität Wien, zeigt sich erfreut über die Reform des juridischen Studienplans und die damit verbundene Aufwertung des Römischen Rechts und äußert gleichzeitig Kritik daran, dass die Rechtsgeschichte noch immer zu wenig Beachtung finde. Phillips sieht in der Rechtsgeschichte nämlich das Fundament des juridischen Studiums und fordert daher, dass dieser größerer Wert zugemessen werde. Phillips kann zwar verstehen, dass derzeit die nötigen Professoren fehlen, um die Rechtsgeschichte an allen Universitäten angemessen zu vertreten, aber er wünscht sich dennoch, dass das Ministerium die Wichtigkeit des Fachs öffentlich bekunde. Ansonsten werde das Fach weiterhin eine Nebenrolle spielen, glaubt Phillips, da die Studenten nur jene Vorlesungen besuchen würden, die bei den Staatsprüfungen verlangt werden.
Hochgeborner Herr Graf
Euer Excellenz haben vor einigen Tagen die Gnade gehabt, mir mehreres über die
sehr heilsamen Einrichtungen mitzutheilen, welche bei der Organisation der
juridischen Studien getroffen werden sollen. Ich brauche es Hochdieselben nicht
erst in vielen Worten auszudrücken, wie sehr es mich freute zu vernehmen, daß
das Naturrecht dem Römischen Rechte weichen und dieses dadurch die ihm
gebührende Stelle erhalten werde. Was Euer Excellenz über die künftige Stellung
der Rechtsgeschichte zu bemerken geruhten, hat mir nicht den gleichen freudigen
Eindruck machen können. Hochdieselbe wollen es mir daher verzeihen, wenn ich mir
erlaube, über diesen mich sehr nahe berührenden und wie es mir scheint
prinzipiell äußerst wichtigen Gegenstand noch einige Worte zu bemerken.
Wenn
ich Euer Excellenz richtig verstanden habe, so soll einstweilen in der
bisherigen Stellung der Rechtsgeschichte keine Änderung eintreten und zwar
vorzugsweise aus dem Grunde, weil es an Lehrern für dieses Fach fehle und daher
abgewartet werden müsse, bis sich solche in Oesterreich herangebildet haben würden. Ich gestehe offen, daß
ich bei den Hindernissen, mit welchen diese Wissenschaft bisher hier zu kämpfen
hatte, mich immer noch mit dem Gedanken getröstet hatte, ihr würde die
Satisfaction zutheil werden, daß sie bei der neuen Organisation auch aus dem
Provisorium heraustreten sollte. So hart nun freilich diese problematische
Stellung für eine Wissenschaft ist, von welcher nunmehr doch auch schon in
weiteren Kreisen anerkannt wird, daß sie eben nicht bloß zur Unterhaltung,
sondern wesentlich auch dazu diene, umso manche vorgefaßte – und ich darf
hinzufügen: tief in die Fundamente des Staatslebens eingreifende – Ansichten zu
berichtigen, so scheint man sich doch damit beruhigen zu dürfen, daß die oben
berührte Veränderung zu Gunsten des Römischen Rechts so vortheilhaft auf die
Studirenden einwirken werde, daß sie alsdann auch mehr als bisher geneigt sein
würden rechtshistorische Vorlesungen zu frequentieren. Auch scheint eben dieses
Resultat dadurch befördert werden zu können, wenn, wie Euer Excellenz sich
einmal früher hierüber äußerten, die Rechtsgeschichte jenen andern in der
philosophischen Facultät zu haltenden historischen Vorlesungen an Geltung
gleichgestellt würde. Allein, um mit dem letzteren Punkte zu beginnen, es kann
doch nicht verhehlt werden, daß die Wirkung dieser Maßregel auch schon aus dem
Grunde nicht sehr weitgreifend sein wird, weil die Studirenden natürlich
diejenigen Vorlesungen, aus welchen sie bei den Staatsprüfungen examinirt
werden, den Vorzug geben. Was sodann jene Veränderung hinsichtlich des Römischen
Rechts betrifft, so sind Euer Excellenz die Gründe bekannt, aus welchen sich
schwerlich auf eine größere Gunst für die Rechtsgeschichte oder auf eine größere
Verbreitung historischen Sinnes hoffen läßt, zumal da die Richtung, in welcher
die Vorträge über Encyklopädie und Methodologie gehalten werden, gar nicht
anders als eine völlig antihistorische sein kann.
Doch alle diese Dinge sind
Nebensachen; der eigentliche Punkt, um welchen sich alles dreht, ist das
Prinzip. Wenn nämlich die definitive Organisation die Rechtsgeschichte in ihrer
bisherigen problematischen Stellung beläßt, so spricht sie – ganz im Gegensatze
zu den ihr zum Grunde liegenden heilsamen Absichten – für alle diejenigen,
welche es so nehmen wollen, das Verwerfungsurtheil über jene Wissenschaft aus.
Die Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen: „Man hat sich während des
Provisoriums davon überzeugt, daß die Rechtsgeschichte nicht unumgänglich
nothwendig ist; der gesunde Sinn der Studirenden hat diese von dergleichen
Studien, die für Oesterreich nicht passen, entfernt gehalten
usw.“ Der weitere Erfolg muß dann der sein, daß alle die nämlichen Triebfedern,
welche bisher gegen die historische Methode des Rechtsstudiums gewirkt haben,
nunmehr eine noch viel größere Kraft als zuvor erhalten. Es wird dann das
Rechtsstudium in seiner Gesammtheit des ihn unumgänglich nothwendigen
historischen Prinzips von vornherein entbehren, und es wäre diese Stellung der
Rechtsgeschichte nicht anders, als ob für das Studium der Theologie die
Kirchengeschichte nicht als unerläßlich erklärt würde, ja mehr als das, denn
diese behandelt die Dogmengeschichte nicht, während die Rechtsgeschichte gerade
eine juristische Dogmengeschichte ist.
Was nun das vorhin berührte Hindernis
des Lehrermangels betrifft, so wird sich unter den obwaltenden Verhältnissen wohl
schwerlich ein junger Mann finden lassen, welcher sich dem rechtshistorischen
Fache zuwendete, um dasselbe künftig zu lehren. Ich kann daher mich des
Gedankens nicht entschlagen, daß jenem Hindernisse, solange nicht prinzipiell
die unumgängliche Nothwendigkeit der Rechtsgeschichte ausgesprochen und
anerkannt wird, auch in alle Zukunft nicht wird begegnet werden können.
Da
eben dies eine Angelegenheit ist, in welcher Euer Excellenz öfters die Gnade
gehabt haben mit mir zu sprechen, so kann ich auch nur von daher die
Entschuldigung entnehmen, wenn ich es wage mich wieder hierüber auszulassen, so
sehr es meinem Gefühle widerspricht in irgendeinen Gegenstand unberufener Weise
meine Vorschläge hineinzutragen. Ich erlaube mir also zu bemerken: Wenn es aus
verschiedenen Gründen, deren Gewicht mir vollkommen einleuchtet, nicht zuläßig
erscheint die Abhülfe durch Berufungen aus dem Auslande zu bewirken, so wäre
doch schon außerordentlich viel durch die Feststellung des Prinzips gewonnen,
des Prinzips: „Der juristische Unterricht soll mit dem Fundamente, mit der
Geschichte des Rechts, begonnen werden; es sind daher alle Studirenden gehalten
im ersten Jahre Rechtsgeschichte zu hören; von dieser Regel wird nur da eine
Ausnahme gestattet, wo einstweilen derartige Vorlesungen noch nicht gehalten
werden.“ Als Karl der Große die
folgenreiche Reformation des Unterrichtswesens in seinem weitausgedehnten Reiche
vornahm, war er auch nicht imstande gleich zu Anfang an allen Lehranstalten alle
Fächer vollständig zu besetzen, allein dadurch erlitten dennoch die
Wissenschaften, die eben nur an einzelnen Schulen vertreten werden konnten,
keinen Eintrag. Denn gerade diese Schulen waren es, welche sich zum größten
Flore erhoben. Ich weiß, es ließen sich auch dagegen manche Einwände machen,
allein die scheinen mir dem Nutzen der Durchführung jenes Prinzips nicht das
Gleichgewicht zu halten.
Es war keine persönliche Rücksicht, die mich bewog,
Euer Excellenz im Obigen meine Bemerkungen mitzutheilen. Hochdieselben haben
meine Lage so angenehm gestaltet, daß ich nicht nur zum lebhaftesten Danke mich
verpflichtet, sondern auch kein Bedürfnis fühle, die Zahl meiner Zuhörer
vermehrt zu sehen. Ich gestehe es offen, daß ich meine Vorlesungen weit lieber
vor einem Kreise von Männern von reiferem Alter und größerer Bildung als vor den
zum größten Theil sehr unreifen Studirenden halte. Dennoch habe ich geglaubt
nicht schweigen zu dürfen, weil es sich um ein für das gesammte juridische
Studienwesen in Oesterreich entscheidendes Prinzip
handelt.
Genehmigen Hochdieselben den Ausdruck meiner unbegrenzten Verehrung
und Hochachtung mit welcher ich bestehe als
Euer Excellenz
unterthäniger Diener
G. Phillips
Wien, 25. März 1853