George Phillips an Leo Thun
Wien, 25. März 1853
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Regest

George Phillips, Professor an der Universität Wien, zeigt sich erfreut über die Reform des juridischen Studienplans und die damit verbundene Aufwertung des Römischen Rechts und äußert gleichzeitig Kritik daran, dass die Rechtsgeschichte noch immer zu wenig Beachtung finde. Phillips sieht in der Rechtsgeschichte nämlich das Fundament des juridischen Studiums und fordert daher, dass dieser größerer Wert zugemessen werde. Phillips kann zwar verstehen, dass derzeit die nötigen Professoren fehlen, um die Rechtsgeschichte an allen Universitäten angemessen zu vertreten, aber er wünscht sich dennoch, dass das Ministerium die Wichtigkeit des Fachs öffentlich bekunde. Ansonsten werde das Fach weiterhin eine Nebenrolle spielen, glaubt Phillips, da die Studenten nur jene Vorlesungen besuchen würden, die bei den Staatsprüfungen verlangt werden.

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Hochgeborner Herr Graf

Euer Excellenz haben vor einigen Tagen die Gnade gehabt, mir mehreres über die sehr heilsamen Einrichtungen mitzutheilen, welche bei der Organisation der juridischen Studien getroffen werden sollen. Ich brauche es Hochdieselben nicht erst in vielen Worten auszudrücken, wie sehr es mich freute zu vernehmen, daß das Naturrecht dem Römischen Rechte weichen und dieses dadurch die ihm gebührende Stelle erhalten werde. Was Euer Excellenz über die künftige Stellung der Rechtsgeschichte zu bemerken geruhten, hat mir nicht den gleichen freudigen Eindruck machen können. Hochdieselbe wollen es mir daher verzeihen, wenn ich mir erlaube, über diesen mich sehr nahe berührenden und wie es mir scheint prinzipiell äußerst wichtigen Gegenstand noch einige Worte zu bemerken.
Wenn ich Euer Excellenz richtig verstanden habe, so soll einstweilen in der bisherigen Stellung der Rechtsgeschichte keine Änderung eintreten und zwar vorzugsweise aus dem Grunde, weil es an Lehrern für dieses Fach fehle und daher abgewartet werden müsse, bis sich solche in Oesterreich herangebildet haben würden. Ich gestehe offen, daß ich bei den Hindernissen, mit welchen diese Wissenschaft bisher hier zu kämpfen hatte, mich immer noch mit dem Gedanken getröstet hatte, ihr würde die Satisfaction zutheil werden, daß sie bei der neuen Organisation auch aus dem Provisorium heraustreten sollte. So hart nun freilich diese problematische Stellung für eine Wissenschaft ist, von welcher nunmehr doch auch schon in weiteren Kreisen anerkannt wird, daß sie eben nicht bloß zur Unterhaltung, sondern wesentlich auch dazu diene, umso manche vorgefaßte – und ich darf hinzufügen: tief in die Fundamente des Staatslebens eingreifende – Ansichten zu berichtigen, so scheint man sich doch damit beruhigen zu dürfen, daß die oben berührte Veränderung zu Gunsten des Römischen Rechts so vortheilhaft auf die Studirenden einwirken werde, daß sie alsdann auch mehr als bisher geneigt sein würden rechtshistorische Vorlesungen zu frequentieren. Auch scheint eben dieses Resultat dadurch befördert werden zu können, wenn, wie Euer Excellenz sich einmal früher hierüber äußerten, die Rechtsgeschichte jenen andern in der philosophischen Facultät zu haltenden historischen Vorlesungen an Geltung gleichgestellt würde. Allein, um mit dem letzteren Punkte zu beginnen, es kann doch nicht verhehlt werden, daß die Wirkung dieser Maßregel auch schon aus dem Grunde nicht sehr weitgreifend sein wird, weil die Studirenden natürlich diejenigen Vorlesungen, aus welchen sie bei den Staatsprüfungen examinirt werden, den Vorzug geben. Was sodann jene Veränderung hinsichtlich des Römischen Rechts betrifft, so sind Euer Excellenz die Gründe bekannt, aus welchen sich schwerlich auf eine größere Gunst für die Rechtsgeschichte oder auf eine größere Verbreitung historischen Sinnes hoffen läßt, zumal da die Richtung, in welcher die Vorträge über Encyklopädie und Methodologie gehalten werden, gar nicht anders als eine völlig antihistorische sein kann.
Doch alle diese Dinge sind Nebensachen; der eigentliche Punkt, um welchen sich alles dreht, ist das Prinzip. Wenn nämlich die definitive Organisation die Rechtsgeschichte in ihrer bisherigen problematischen Stellung beläßt, so spricht sie – ganz im Gegensatze zu den ihr zum Grunde liegenden heilsamen Absichten – für alle diejenigen, welche es so nehmen wollen, das Verwerfungsurtheil über jene Wissenschaft aus. Die Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen: „Man hat sich während des Provisoriums davon überzeugt, daß die Rechtsgeschichte nicht unumgänglich nothwendig ist; der gesunde Sinn der Studirenden hat diese von dergleichen Studien, die für Oesterreich nicht passen, entfernt gehalten usw.“ Der weitere Erfolg muß dann der sein, daß alle die nämlichen Triebfedern, welche bisher gegen die historische Methode des Rechtsstudiums gewirkt haben, nunmehr eine noch viel größere Kraft als zuvor erhalten. Es wird dann das Rechtsstudium in seiner Gesammtheit des ihn unumgänglich nothwendigen historischen Prinzips von vornherein entbehren, und es wäre diese Stellung der Rechtsgeschichte nicht anders, als ob für das Studium der Theologie die Kirchengeschichte nicht als unerläßlich erklärt würde, ja mehr als das, denn diese behandelt die Dogmengeschichte nicht, während die Rechtsgeschichte gerade eine juristische Dogmengeschichte ist.
Was nun das vorhin berührte Hindernis des Lehrermangels betrifft, so wird sich unter den obwaltenden Verhältnissen wohl schwerlich ein junger Mann finden lassen, welcher sich dem rechtshistorischen Fache zuwendete, um dasselbe künftig zu lehren. Ich kann daher mich des Gedankens nicht entschlagen, daß jenem Hindernisse, solange nicht prinzipiell die unumgängliche Nothwendigkeit der Rechtsgeschichte ausgesprochen und anerkannt wird, auch in alle Zukunft nicht wird begegnet werden können.
Da eben dies eine Angelegenheit ist, in welcher Euer Excellenz öfters die Gnade gehabt haben mit mir zu sprechen, so kann ich auch nur von daher die Entschuldigung entnehmen, wenn ich es wage mich wieder hierüber auszulassen, so sehr es meinem Gefühle widerspricht in irgendeinen Gegenstand unberufener Weise meine Vorschläge hineinzutragen. Ich erlaube mir also zu bemerken: Wenn es aus verschiedenen Gründen, deren Gewicht mir vollkommen einleuchtet, nicht zuläßig erscheint die Abhülfe durch Berufungen aus dem Auslande zu bewirken, so wäre doch schon außerordentlich viel durch die Feststellung des Prinzips gewonnen, des Prinzips: „Der juristische Unterricht soll mit dem Fundamente, mit der Geschichte des Rechts, begonnen werden; es sind daher alle Studirenden gehalten im ersten Jahre Rechtsgeschichte zu hören; von dieser Regel wird nur da eine Ausnahme gestattet, wo einstweilen derartige Vorlesungen noch nicht gehalten werden.“ Als Karl der Große die folgenreiche Reformation des Unterrichtswesens in seinem weitausgedehnten Reiche vornahm, war er auch nicht imstande gleich zu Anfang an allen Lehranstalten alle Fächer vollständig zu besetzen, allein dadurch erlitten dennoch die Wissenschaften, die eben nur an einzelnen Schulen vertreten werden konnten, keinen Eintrag. Denn gerade diese Schulen waren es, welche sich zum größten Flore erhoben. Ich weiß, es ließen sich auch dagegen manche Einwände machen, allein die scheinen mir dem Nutzen der Durchführung jenes Prinzips nicht das Gleichgewicht zu halten.
Es war keine persönliche Rücksicht, die mich bewog, Euer Excellenz im Obigen meine Bemerkungen mitzutheilen. Hochdieselben haben meine Lage so angenehm gestaltet, daß ich nicht nur zum lebhaftesten Danke mich verpflichtet, sondern auch kein Bedürfnis fühle, die Zahl meiner Zuhörer vermehrt zu sehen. Ich gestehe es offen, daß ich meine Vorlesungen weit lieber vor einem Kreise von Männern von reiferem Alter und größerer Bildung als vor den zum größten Theil sehr unreifen Studirenden halte. Dennoch habe ich geglaubt nicht schweigen zu dürfen, weil es sich um ein für das gesammte juridische Studienwesen in Oesterreich entscheidendes Prinzip handelt.
Genehmigen Hochdieselben den Ausdruck meiner unbegrenzten Verehrung und Hochachtung mit welcher ich bestehe als

Euer Excellenz

unterthäniger Diener
G. Phillips

Wien, 25. März 1853