Leo Thun verfasst einige Bemerkungen zum Entwurf Karl Kuzmánys für eine neue Verfassung der evangelischen Kirchen. Neben allgemeinen Hinweisen notiert Thun dabei auch spezielle Punkte, die für die weitere Debatte beachtet werden sollen. Wesentlich ist für Thun die Frage, wer berechtigt ist, über die neue Verfassung zu entscheiden und dass die Verfassung auf keinen Fall oktroyiert werden dürfe. Außerdem betont Thun, dass eine einheitliche Regelung für das gesamte Reich gefunden werden müsse. Der Minister betont dabei auch, dass sich der Staat entscheiden müsse, ob ein reichsweites, zentrales Entscheidungsgremium geschaffen werden oder die Organisation lediglich bis auf die Ebene der Superintendenzen reichen solle. Ein wichtiger Punkt ist für Thun auch der Einfluss des Staates bei der Wahl von Personen in die leitenden Gremien der Kirche bzw. das Verhältnis von Laien und Geistlichen in solchen Gremien.
Einwendungen gegen den vorliegenden Entwurf1
1. er darf nur als Entwurf herumgegeben werden; er kann nur Kraft erhalten durch
freie Zustimmung
2. es ist gegen die Prinzipien des Protestantismus, daß die
Geistlichen vorherrschen in hierarchischer Gliederung
3. der ob. Kirchenrath
muß von der Synode vorgeschlagen werden
4. die Sache geht nicht, wenn nicht
nebst dem Kirchenrathe auch die Superintendenten und Senioren vom Staate bezahlt
werden.
ad 4. Der Staat kann nur denjenigen bezahlen, der auch ihm gegenüber eine
Verantwortung übernimmt; diese kann nur übernehmen, wer auch selbstständige
Macht hat; die Besoldung der Superintendenten ist also unzertrennlich vom
Episkopalsystem oder mindestens von der Stellung des Superintendenten, die der
Entwurf ihm anweist.
Wenn der Staat aber bezahlt, so muß er auch einen
direkten Einfluß auf die Auswahl der Person haben – mehr als den bloß negativen,
der in dem Entwurfe in Anspruch genommen wird. Den kann nun allerdings nicht der
Staat imperativ in Anspruch nehmen, deshalb kann er auch nicht die Besoldung
oktroyiren.
ad 1. „Überhaupt nicht oktroyiren!“ – Wie soll also die
Kirchenverfassung entstehen? – Einverstanden, daß der Staat auch die
evangelische Kirche als eine selbstständige Gewalt anerkenne und mit ihr
vereinbare; aber welches ist das Organ, welches berechtigtet ist, mit der
Regierung zu verhandeln und die Macht besitzt, die Einhaltung dessen, was
vereinbart wird, zu verbürgen?
Für die deutsch-slavischen Länder
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Der einzige feststehende
beschlußfähige Körper in der evangelischen Kirche ist die Pfarrgemeinde. Man
müßte von der an – fußend auf die bestehende höhere Organisation – beginnen zu
bauen, d. i. sie organisiren und ihr die Wahl zu Senioralconventen gestatten;
mit diesem die Organisation nach unten vereinbaren und sie[sic!] dann die Wahl
zu Superintendenzialkonvent gestatten, mit diesem die Organisation der
Superintendenz vereinbaren.
Damit wären auch für die gerichtlichen
Funktionen die 3 Instanzen gegeben.
Ob eine Reichssynode mit einer vom
Staate anerkannten und geschützten Exekutivgewalt Bedürfnis sei, möge dann von
den Superintendenzialkonventen beurtheilt werden; ist sie es, so mögen sie sich
darüber mit der Regierung vereinigen.
Bis dahin möge es den evangelischen
verschiedenen Superintendenzen frei stehen, sich gemeinschaftlich zu versammeln;
aber die Regierung wird es sich vorbehalten, sich durch Kommissäre von dem
Vorgange zu überzeugen und wenn sie die Versammlung bedenklich findet, sie zu
verbiethen; sie wird überdies diesen Versammlungen keine Berechtigung zuerkennen
und ihre Beschlüsse werden daher nur in so weit Geltung haben, als die
organisirten Gemeinden sie anerkennen wollen.
oder
die Regierung spreche über die Superintendenz hinaus, lasse ich
keine andere als eine Reichssynode zu, denn ich dulde nicht separate
evangelische Kirchen.
Für Ungarn
muß auf Grundlage von [1]791
§ 4 eine wirkliche Kirchenverfassung oktroyirt werden – bis zu
Superintendenzialkonvent hinauf – mit Übertragung der früher der ungarischen
Hofkanzlei zugestandenen Befugnisse auf das Ministerium des
Cultus.
Dazu sogleich eine Geschichte der ungarischen
evangelischen Kirchenrechte verfassen lassen.
Es wird beides begehrt: Autonomie und Dotation.
Jenes fand bei einigen
Anklang (in Ungarn würde man eben deshalb die Dotation von
sich weisen, eben so in Siebenbürgen die
Sachsen, die Unitarier), dieses bei anderen, die keine Autonomie erlangen und
eine kostspielige entschieden abweisen würden.
Die Regierung muß die
protestantische Freiheit beider zu Gute halten und mit der Gemeinde je nach
ihrem Wunsche verhandeln. Behufs der Verhandlung sich auf das Bestehende fußend
und nur Eingriffe in das Kirchliche im Geiste des § 2 vermeiden.