Der Historiker Wilhelm Wattenbach erkundigt sich bei Leo Thun, wie es um seine Berufung nach Österreich bestellt ist. Die Berufung war ihm von Franz Exner zugesichert worden. Wattenbach erkundigt sich auch deshalb, weil er in seiner Heimat Schleswig-Holstein eine Einberufung zum Kriegsdienst erhalten hat und deshalb Gewissheit haben möchte, ob er bis zum Ende des Jahres mit einer Anstellung in Wien rechnen könne oder nicht: Im Falle einer Anstellung könne er es nämlich verantworten, der Einberufung nicht Folge zu leisten. Andernfalls sähe Wattenbach sich verpflichtet, der Einberufung nachzukommen. Er bittet Leo Thun daher um eine möglichst rasche Entscheidung.
Euer Excellenz
wird ohne Zweifel erinnerlich sein, daß mir im Monat November 1849 von Eurer
Excellenz eine Anstellung in Oestreich um
Ostern 1850 zugesagt wurde. Der Herr Ministerialrath Exner hat mir auf meine Anfrage deshalb im April dieses Jahres
mittheilen lassen, daß die Absicht der Berufung nach Oestreich noch unverändert stattfinde, daß aber der Zeitpunkt
noch nicht zu bestimmen sei.
Wenn nun eine solche Ungewißheit überhaupt
manche Unannehmlichkeit mit sich bringt, so ist jetzt ein Fall eingetreten,
welcher es mir dringend wünschenswerth macht, Gewißheit zu erlangen. Es ist
nämlich jetzt in meiner Heimath, Schleswig-Holstein, die
Altersklasse, welcher ich angehöre, zum Kriegsdienste einberufen. Bliebe ich
hier, so würde ich mich zu stellen haben und würde dann bis zum Ende des
Kriegszustands keine Verpflichtungen gegen einen fremden Staat eingehen
können.
Nur wenn ich mich infolge der früheren Beredung mit Eurer Excellenz
schon als verpflichtet und sozusagen provisorisch als Oestreicher betrachte,
glaube ich es verantworten zu können, der Einberufung nicht Folge zu leisten und
würde auch wohl bei der Berufung auf diese Verpflichtung keine Schwierigkeiten
zu besorgen haben. Dazu wäre es indessen unumgänglich nothwendig, eine ganz
bestimmte Zusage zu erhalten, daß ich noch vor Ende dieses Jahres eine
Anstellung in Wien (unter den früher bestimmten
Bedingungen) zu erwarten habe.
Indem ich daher Euer Excellenz ehrerbietigst
anheim stelle, zu beschließen, was unter diesen Umständen Eurer Excellenz
angemessen erscheinen wird, bitte ich nur mich von der Entscheidung geneigtest
bald in Kenntnis setzen zu wollen, da ich sonst auf längere Zeit meine
wissenschaftliche Beschäftigung aufgeben müßte und in die Unmöglichkeit versetzt
würde, dem mir in Aussicht gestellten Wirkungskreis in Oestreich meine Thätigkeit zu widmen.
In
Hoffnung auf eine baldige Erledigung meines Anliegens verharre ich mit der
ehrfurchtsvollsten Hochachtung
Euer Excellenz
ergebenster Diener
W. Wattenbach Dr.
(Berlin, Kanonierstr. 30)
Berlin, den 22. Juni 1850