Der Philosoph Theodor Schliephake übersendet dem Minister sein jüngstes Werk. Darin hat er grundlegende ethische Fragen aus der Sicht unterschiedlicher wissenschaftlicher Anschauungen behandelt. Er hofft, dass das Werk von Thun gut aufgenommen wird, zumal darin mit der Sittenlehre und der Geschichte der Philosophie zwei Disziplinen behandelt werden, die durch die Politik Thuns auch in Österreich neue Wertschätzung erfahren. Schliephake bedauert noch immer, dass eine Berufung nach Österreich nicht möglich war, er hofft, mit dem Buch dem Minister dennoch einen Beweis seines Schaffens liefern zu können.
Hochgeborner Herr Graf
Gnädiger Herr!
Wollen Euer Excellenz mir erlauben, Hochderselben eine Schrift1, welche ich vor Kurzem der Öffentlichkeit übergeben habe,
ehrerbietigst zu überreichen. Ich habe darin den Versuch gemacht, eine Reihe der
wichtigsten ethischen Fragen, vom Standpunkte wissenschaftlicher Vermittlung der
Gegensätze, in zusammenhängenden Skizzen zu behandeln.
Sollte ich so
glücklich sein, daß Euer Excellenz diesen Blättern einige Beachtung schenken
wollten, so wird vielleicht der Umstand, daß neben der Sittenlehre auch die
Geschichte der Philosophie darin besondere Berücksichtigung findet, in Ihrem
Urtheil mir zu Gunsten gereichen. Denn grade auf diese zwei Wissenschaften ist
nach der Organisation des Unterrichts, die unter Euer Excellenz Leitung steht,
vorzugsweis Gewicht gelegt.
Es sind drei Jahre verflossen, seit von dem
hiesigen herzoglichen Hofe, insonderheit auf Anregung Ihrer königlichen Hoheit
der Frau Herzogin Wittwe Pauline von
Nassau, und durch Vermittlung der hohen Gesandtschaften in
Frankfurt, so gnädige wie nachdrucksvolle
Empfehlungen bei Euer Excellenz mir zu Theil wurden, welche zum Zweck hatten,
eine Berufung in ein Lehramt an einer kaiserlichen Universität für mich zu
erwirken. Ist auch diese hohe Verwendung für mich ohne Erfolg geblieben, so darf
ich doch hoffen, daß Euer Excellenz den Wunsch geneigt ansehen werden, durch
meine Schrift Ihnen ein kleines Zeugnis meiner Studien, einen kurzen Ausdruck
meiner Überzeugung über so bedeutende Probleme, wie die ethischen sind,
darzulegen. Ich darf es jetzt nicht mehr wagen, an diesen Wunsch eine andere
Bitte, als die um gnädige und nachsichtsvolle Aufnahme meiner Schrift zu
knüpfen; doch würde ich mich besonders glücklich schätzen, wenn Euer Excellenz
in dem Buch, das jetzt Hochderselben zu überreichen ich mich beehre, die mir zu
Theil gewordenen gnädigsten Empfehlungen des hohen Nassauischen Fürstenhauses
gerechtfertigt sehen würden.
Genehmigen Sie, hochgeborner Herr Graf, den
Ausdruck meiner tiefsten Ehrerbietung, womit ich die Ehre habe zu verharren
Euer Excellenz
ganz gehorsamster Diener
Dr. Th. Schliephake, Hofrath
Wiesbaden, den 1. Dezember 1854