Peter Chlumecký an Leo Thun
Brünn, 8. Februar 1855
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Regest

Peter Chlumecky, Direktor des Mährischen Landesarchivs, sendet Thun einige seiner historischen Studien. Zwei der Arbeiten sind als Separatdrucke der Schriften der historisch-statistischen Sektion der mährisch-schlesischen Ackerbaugesellschaft erschienen. Er selbst hat diese Sektion gegründet, um die Entwicklung der Geschichtswissenschaft zu fördern. Gleichzeitig hat er als Mitglied des mährischen Landesausschusses die Förderung von Quellenstudien angeregt. Seiner Ansicht nach bilden die Erforschung und Herausgabe von Urkunden und Rechtsquellen die Grundlage jeglicher Geschichtsschreibung und Rechtswissenschaft: Allerdings sei das Material, das unbeachtet in Archiven lagere, groß, die Mittel und sachkundigen Personen, es zu bearbeiten, seien indes gering. Daher bereitet er zunächst ein Repertorium aller Urkunden aus mährischen Archiven bis zum Jahr 1620 vor. Er hat außerdem die Forschungen zu Karl von Zierotin und dessen Zeit wieder aufgenommen und hofft die Ergebnisse bald veröffentlichen zu können. Chlumecky hofft, mit all diesen Arbeiten seinen Anteil für die Bereicherung der vaterländischen Geschichte beigetragen zu haben.

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Edierter Text

Euer Excellenz!

Durch die gnädigst geöffnete mich beglückende Theilnahme und durch wohlwollenden Freundessinn aufgemuntert – wage ich es Euer Excellenz einige schwache Ergebnisse meiner Neigung für historische Studien ehrfurchtsvollst zu unterbreiten, und zwar den Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae1, eine Anzeige über die Correspondenz der Diarien etc. Carls von Zierotin 2, und den Bericht über die Ausgrabungen bey Bellowitz3 – letztere zwey sind Separatabdrücke aus den Schriften der historisch-statistischen Section der k.k. mährisch-schlesischen Ackerbaugesellschaft. Ich erlaube mir hiebey die Bitte zu stellen, Euer Excellenz geruhen in diesen Versuchen, meine an Tag gelegte Absicht und Zwecke, vor der sehr unvollkommenen Form der Durchführung in gnädigster Würdigung zu nehmen. Durch die von mir angeregten Gründung der früher erwähnten Section sollte der Sinn und die Liebe für geschichtliche Studien geweckt – und wo diese vorhanden waren die Forschungslust gefördert und die Veröffentlichung historischer Arbeiten vermittelt werden. Die nachsichtsvolle und anerkennende Beurtheilung des Wirkens dieser Section in der kürzlich herabgelangten hohen Zuschrift Euerer Excellenz, war der größte Lohn für das wissenschaftliche Streben derselben. Die zur Förderung geschichtlicher Studien in Mähren gestellte Aufgabe des mährischen Landesausschusses (dessen Mitglied ich zu sein die Ehre habe), sollte nach meinem unvorgreiflichen Erachten, die Quellenforschung und die Quellenherausgabe in erster Reihe umfassen; nach dem Vorbilde anderer Länder und nach meiner persönlichen Überzeugung, daß ohne Diplomaten das Geschichtsschreiben überhaupt, ohne Bekanntmachung der Rechtsdenkmäler das Studium der Rechtsgeschichte, sehr erschwert ist, habe ich auf Veröffentlichung von Urkunden und Rechtsbücher das größte Gewicht zu legen geglaubt, und in der ersten Kathegorie auf die Fortsetzung des Codex diplomaticus, in der zweyten auf Herausgabe der alten Landtafel hinzuwirken gesucht. Dieses Streben, dessen Begründung im Vorworte zum gehorsamst vorgelegten VI Bande des Codex angeführt wurde – blieb glücklicher Weise nicht ohne Erfolg, und es wurde mir der ehrende Auftrag zu Theil die Herausgabe des Codex auf Kosten des mährischen Domesticalfondes so wie jene der alten Landtafel auf Kosten eines großen Theils des hohen begüterten Erbadels dieses Landes zu leiten und durchzuführen, wobey ich vom mährisch ständischen Archivs- und Registraturbeamten J[osef] Chýtil besonders unterstützt wurde. Hiemit ist jedoch immer nur ein sehr geringer Anfang gemacht worden, denn die Erhaltung und Bewahrung, so wie die Herausgabe des ganzen überreichen, in öffentlichen und privat Archiven vorhandenen, in einigen derselben dem allmähligen Untergange preisgegebene Apparatus mährischer Urkunden und Rechtsdenkmäler – übersteigt bey weiten die Kräfte und Lebensdauer einiger Individuen und könnten nur durch Intervention eines höheren Willens durchgeführt werden. Ich versuche wenigstens die Übersicht des Gesammtmaterials dadurch zu erhalten, daß ich ein Verzeichnis aller in allen Archiven des Landes vorhandenen Urkunden bis zum Jahre 1620 und des anderen historischen Materials; eine Art von mährischen Generalrepertorium und Directorium zur Herausgabe vorbereite. Die für den betreffenden Zweig der Rechtsgeschichte wichtigen Weisthümer und Willkühren in Dorfs- und Marktgemeinden sind schon größten Theils verschwunden, und nur äußerst wenige haben sich erhalten, um diese wenigen vor gleichem Schicksal zu bewahren, beabsichtige ich dieselben zu veröffentlichen. Die „Anzeige der Correspondenzen, Diarien etc. Carls von Zierotin“ habe ich nur in einem Theile vollenden können, da eine schwere Krankheit mich an der Fortsetzung gehindert hat – ich habe jedoch diese Arbeit wieder aufgenommen, und hoffe mit Hülfe der Vorsehung im Laufe des Jahres den zweyten, bey weiten wichtigeren Theil der „Anzeige etc.“: die Correspondenz Zierotins aus den merkwürdigen Jahren 1606 bis 1612 mit Thurzo, Illýeshazy, Reichard und Erasmus Stahremberg, Tschernembl, Molart, Kinsberg, Cavriani und andere mit den Fürsten der deutschen evangelischen Union, mit dem Könige von England und mit den Staatsmännern Heinrichs IV. von Frankreich – die leidige Entwicklung der Union der evangelischen östreichischen Stände, die Abdankung Rudolphs und die Thronbesteigung Mathias betreffend, vollenden zu können. Der „Bericht über die Funde bey Bellowitz“ (wahrscheinlich mongolischen Ursprungs) ist ein kleiner Beytrag zur Litteratur unserer heidnischen Gräber – die barbarische Spur einer barbarischen trostlosen Epoche. Geruhen Euer Excellenz diese ausgedehnten Bemerkungen gnädigst zu entschuldigen – allein ich glaubte die Vorlage meiner unbedeutenden Arbeiten, mit einer ehrfurchtsvollsten Darstellung des von mir zur Herausgabe vorbereiteten anderweitigen historischen Materials, und der zur Förderung der vaterländischen Geschichte aufgestellten Grundsätze ergänzen zu sollen. Ich bitte Euer Excellenz den Ausdruck meiner unbegränzten Verehrung und der tiefsten Ehrfurcht gnädigst zu genehmigen.

Euer Excellenz
gehorsamst unterthänigster Diener
P. Ritter v. Chlúmecký

Brünn 8. Februar 1855