Stephan Wolf, Direktor des Gymnasiums in Czernowitz, drückt sein Bedauern
über den Rücktritt Thuns aus. Zum diesem Bedauern tritt auch seine Sorge
um die Zukunft des österreichischen Gymnasialunterrichts. Denn es ist
aus seiner Sicht fraglich, ob Thuns Nachfolger an den Eckpfeilern der
Reform wie Seminaren, Lehramtsprüfungen, Fachlehrern und der Vereinigung
des philosophischen Kurses mit dem Gymnasium festhalten wird.
In
einer Beilage übersendet er eine Dankadresse des Lehrerkollegiums des
Czernowitzer Gymnasiums. Dieses wiederholt den Dank des Direktors und
spricht die Hoffnung aus, dass Thun sich nun im Reichsrat für die
Belange des Unterrichtswesens einsetzen wird. Das Kollegium ist sich
sicher, dass die Amtszeit Thuns dereinst als Glanzzeit des
österreichischen Bildungswesens in den Geschichtsbüchern verzeichnet
sein wird.
Das Schreiben befindet sich im Nachlass gemeinsam mit 39 weiteren
Dankadressen unter der Signatur A3 XXI D623a.
Als Beilage zu diesem
Brief: Dankadresse des Lehrerkollegiums des
Gymnasiums in Czernowitz an Leo Thun. Czernowitz, 30. Oktober
1860.
Euere Excellenz!
Der österreichische Gymnasiallehrstand ist unter der huldvollen Leitung Euerer
Excellenz herangereift, um die humanistische und wissenschaftliche Aufgabe des
Gymnasiums zu lösen. Unsere Denk- und Anschauungsweise ist von der hochverehrten
Persönlichkeit Euerer Excellenz, der wir nie entrückt zu werden wünschten und
hofften, untrennbar. Der Fall unserer höchsten Behörde, in der wir die Garantie
einer noch weiteren Entwicklung unseres Unterrichtswesens verehrten, hat uns
demnach auf das tiefste erschüttert und noch sind wir von dem Drucke der
schmerzlichsten Empfindungen nicht frei geworden. Denn es ist uns bange vor
unserer Zukunft, bange vor dem nunmehrigen Schicksale des für das Staatsleben
hochwichtigen Gymnasialunterrichts.
Wenn ich von dem unzähligen Segenvollen,
welches Euere Excellenz ins Leben gerufen, in Bezug auf das Gymnasialwesen auch
nur die Hauptstützen desselben hervorzuheben mir erlaube, so sind es die
Seminarien, die Lehramtsprüfungen, die Fächerlehre, die Vereinigung der
ehemaligen philosophischen Curse mit dem Gymnasium und das Institut sachkundiger
Schulräte, welche die besten Früchte auf dem Gebiete der Gymnasialbildung zu
Tage fördern. Möchten die Männer, welche das Vertrauen Seiner Majestät zu dem in
Aussicht gestellten Beirate der höchsten Staatsbehörde erwählen wird, nur an
diesen bewährten Stützen unseres Studienwesens auch fernerhin
festhalten!
Den Lehrkörper des k.k. Gymnasiums in
Czernowitz erfüllt das Scheiden Euerer Excellenz mit
tiefer Wehmut und derselbe wagt es seinem Schmerze in der Adresse, welche ich im
Anschlusse zu übersenden die Ehre habe, einen schwachen Ausdruck zu
geben.
Geruhen Euere Excellenz dieses Zeichen unserer tiefsten Ehrfurcht und
Ergebenheit huldvoll entgegenzunehmen und die Versicherung zu genehmigen, daß
unser Dankgefühl für die besondere Fürsorge, deren sich das Czernowitzer
Gymnasium von Seite Euerer Excellenz zu erfreuen hatte, ein immer dauerndes sein
wird.
Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck meiner tiefsten Verehrung, mit
welcher ich die Ehre habe mich zu zeichnen
Euerer Excellenz
Ehrfurchtsvoll unterthänigster Diener
St. Wolf
k.k.
Gymnasialdirektor
Czernowitz, am 10. November 1860
Adresse
an Seine Excellenz
den Hochgebornen Herrn
Leo
Leopold
Grafen von Thun Hohenstein
Kaiserlich-österreichischer Reichsrath, Großkreuz des Leopold Ordens, Ritter der eisernen Krone 1. Klasse, Großkreuz des päpstlichen Piusordens, Ehrenmitglied der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften und vieler anderer Gelehrten- und Wohltäthigkeitsvereine, Mitglied mehrerer wissenschaftlicher, humanitäts- und gemeinnützigen Vereine, ect. ect. ect. [sic!] und bisherigen Minister für Cultus und Unterricht im Kaiserthume Österreich
In tiefster Ehrfurcht
treuster Anhänglichkeit
überreicht
vom
Gymnasiallehrkörper in Czernowitz
1860
Euere Excellenz!
Wenn man einst in den Büchern der Geschichte lesen wird, dass für die
Bewohner des österreichischen Staates das verhängnisvolle Decennium von 1850
bis 1860 ein Segen gewesen ist, weil sich aus demselben eine freiere
Bewegung des Völkerlebens und ein allgemeiner geistiger Aufschwung
entwickelt hat, so wird sich bei Angabe der Ursachen dieser segensreichen
Folgen auch der Name eines Mannes niedergeschrieben finden, der durch Sein
Wirken jenen Aufschwung hervorrief und hiedurch den althistorischen Glanz
Seiner Familie und aller Seiner Ahnen überstrahlte.
Wir, denen das Glück
vergönnt war, mitten unter den rauhen Strömungen der Zeit und den Drangsalen
blutiger Kriege Euere Excellenz als ein Werkzeug in der Hand jener obersten
Weltordnung, welche man die moralische und göttliche nennt, kennen zu lernen
und unter solch hehrer Führung ein Schärflein zu dem Zwecke geistigen
Emporkommens beizutragen, fühlen uns in dem Augenblicke, wo Euere Excellenz
von der obersten Leitung der österreichischen Unterrichtsanstalten scheiden,
gedrungen, unsere tiefste und aufrichtigste Trauer über diesen Verlust
auszusprechen.
Indem wir dieses thun, können wir die Hoffnung nicht
unterdrücken, Euere Excellenz werde auch fürderhin in der neuen Stellung als
Einer der ersten Räthe der Krone und des Staates den geistigen
Bildungsanstalten Oesterreichs ein
kräftiges Wort und den redlichen Bemühungen der Lehrer und Förderer
geistigen Fortschrittes Unterstützung und Schutz gewähren.
Der Lehrkörper des Czernowitzer Gymnasiums
St. Wolf
k.k. Director
Jos. Reichel
Math. Thorz
Johann Mathias
Fanz Herzik
Ferdinand
Caspary
Heinrich Lewinsky
Basil Illasiewicz
Ad.
Strzelechi
E. R. Neubauer
Joh. Limberger
W. Resl
Benjamin
Iliutz
Joh. K. Hayduk
Dr. Wilh. Vyslouźil
Theod. Wolf
V.
Kermavner
Czernowitz, am 30. October [1]860