Der österreichische Gesandte in Berlin, Anton Prokesch-Osten, übersendet Leo Thun eine Ausgabe des „Preußischen Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“ und weist besonders auf den Artikel "Einfluß der politischen Reaktion auf Staat und Kirche" hin. Darin wird die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat in Preußen in jüngerer Vergangenheit sowie das Projekt einer Union der reformierten und der lutherischen Kirche besprochen. Hierzu wird auch ein historischer Abriss dieses Vorhabens gegeben. Der Autor äußert sich außerdem kritisch dazu, dass die Union durch die unversöhnliche Haltung beider Gruppen nicht zustande kommen könne. Prokesch-Osten pflichtet in seinem beiliegenden Schreiben dem Autor bei und weist insbesondere darauf hin, dass man die politischen Absichten, die hinter der Schaffung einer Union stehen würden, beachten müsse.
Beilage: „Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“, Nr. 50, Berlin 13. November 1852.1
Hochverehrter Graf,
in so ferne der heutige Zwiespalt und Krieg der mit der hiesigen kirchlichen
Union dissentierenden Lutheraner und Reformirten ein interessantes Stück des
Entwicklungsganges des Protestantismus überhaupt ist, verdient der anliegende
Artikel Aufmerksamkeit.
Es ist thatsächlich wahr, denn so und nicht anders
tritt die Sache in die Wirklichkeit. Der Dissensus allein ist im heutigen
Oberkirchenrathe vertreten, nicht der Consensus, und diese aus der Natur des
Protestantismus hervorgegangene Erscheinung wird ihr Recht behaupten. Die Union,
an sich das Vernünftigere, Christlichere, ist eben auf dieser Basis eine
Unmöglichkeit und könnte nur auf derjenigen des Indifferentismus fußen, wo sie
dann wieder keinen Werth hätte. Bemerkenswerth ist übrigens noch der politische
Gebrauch, den die Partei von der Union zu machen gedenkt und durch eine Stelle
des Artikels andeutet.
Hochachtungsvoll
Prokesch
Berlin, 14. Nov. 1852