Vorschlag von Franz Reichenstein zur Lösung der Frage der Protestanten in Ungarn
o. O., 15. April 1860
|

Regest

Ministerialrat Franz Reichenstein unterbreitet einen Vorschlag zur Lösung der Konflikte mit den Protestanten in Ungarn. Zunächst schlägt er eine Amnestie für jene vor, die gegen das Protestantenpatent verstoßen haben. In der Folge unterbreitet er dann einen Vorschlag, wie das Patent bekannt gemacht und den Gläubigen erklärt werden soll. Er spricht sich außerdem dafür aus, die Einberufung und Abhaltung von Senioral- oder Superintendentialkonventen zu verbieten. Sollten Gemeinden diesem Verbot zuwider handeln, so schlägt er Strafen für die leitenden Vertreter der Gemeinden vor. Die Strafgelder sollen für Schulzwecke und Kirchen hilfsbedürftiger bereits koordinierter Kirchengemeinden verwendet werden. Insgesamt drängt er auf eine rasche Lösung des Konflikts.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

<letzter Vorschlag von Baron Reichenstein>1

Alle bis zum Tage der allerhöchsten Entschließung (kaiserliches <Manifestes>2 an Seine protestantischen Unterthanen in Ungarn) anhängigen strafgerichtlichen Verhandlungen in der protestantischen Angelegenheit werden aus allerhöchster Gnade niedergeschlagen. Den bereits Verurtheilten wird die Strafe aus allerhöchster Gnade nachgesehen.
Die Leiter der Superintendenzen werden nochmals aufgefordert, das kaiserliche Patent und die Ministerialverordnungen im kirchlichen Wege der Gemeinde zu publiziren. Weigern sich dieselben dies zu thun, so hat diese Publikation durch die politische Behörde in jeder Gemeinde stattzufinden und hiebei sind die Gemeinden in faßlicher Weise über die wohlwollenden Absichten Seiner kaiserlichen Majestät, über die Grundlosigkeit ihrer Besorgnisse für ihren Glauben, über die künftige Ordnung der kirchlichen Angelegenheiten in der Kirchengemeinde und die daraus für dieselben erwachsenden Vortheile usw. zu belehren. (Diese Belehrung wäre den Behörden 3hinauszugeben.)
Jene Gemeinden, in denen die Kundmachung des kaiserlichen Patentes und der Ministerialverordnungen bisher nicht stattgefunden hat, erhalten aus diesem Grunde eine Fristerstreckung zur Koordinirung von 2–3 Monaten.

Für jene Gemeinden, in denen diese Kundmachung bereits erfolgt ist und die sich demungeachtet nicht koordinirt haben, bleiben die bereits eingetretenen Folgen der Nichtkoordinirung in Kraft.

Falls Senioral- und Superintendentialconvente von nicht koordinirten Gemeinden – also unerlaubte Versammlungen – abgehalten werden sollten, deren sämmtliche Beschlüsse übrigens ungültig sind, so sind dieselben durch einen Beamten zum Auseinandergehen aufzufordern. Weigern sich die Mitglieder dieser Aufforderung Folge zu leisten, so hat der Beamte ein Verzeichnis des Präsidiums und der anwesenden Mitglieder des Senioral- oder Superintendentialconventes aufzunehmen und durch das Präsidium mitfertigen zu lassen, dann aber der Sitzung beizuwohnen und für den Fall, nicht nur dringende kurrente Schul- und Kirchenangelegenheiten verhandelt, sondern Beschlüsse gefaßt werden sollten, welche Momente einer unter das Strafgesetz fallenden Handlung an sich tragen, das Präsidium hierauf aufmerksam zu machen.

Gegen die Mitglieder solcher Versammlungen sind Disziplinarstrafen für jedes Mitglied von 10–25 fl, für das Präsidium von 50–100 fl zu verhängen und sogleich im politischen Wege vom solidarisch dafür haftenden Präsidium salvo regressu desselben an die einzelnen Mitglieder einzuheben. Ist die Einladung nur vom weltlichen oder geistlichen Theile des Präsidiums ausgegangen, so ist der Strafbetrag in erster Linie auch nur von diesen einzuheben (1.000[?] auf den weltlichen Theil sollte vorerst gegriffen werden).

Die eingehenden Strafgelder sind für Kirchen und Schulzwecke hülfsbedürftiger bereits koordinirter Kirchengemeinden desselben Glaubensbekenntnisses zu verwenden.

Sind jedoch von einem solchen Konvent Beschlüße gefaßt worden, welche Handlungen involviren, die unter das Strafgesetz fallen oder werden solche von Einzelnen begangen, so ist das strafgerichtliche Verfahren mit Beschleunigung durchzuführen.

Die allfälligen Bitten koordinirter Seniorate aus nachgewiesenen berücksichtigungswürdigen Gründen einer andern Superintendenz zugewiesen zu werden, werden noch vor der Koordinirung der Superintendenzen in Betracht gezogen.

Koordinirten Senioraten und Superintendenzen werden alle nur irgendwie möglichen Facilitäten gewährt.

Es wird von Seiner Majestät die allerhöchste Erwartung und der allerhöchste Wunsch ausgesprochen, daß die Koordinirung der Protestanten augsburgischen Glaubensbekenntnisses die Abhaltung der Synode längstens am 1. Sept. 1860 gestatten möge.

Die definitive Regelung der protestantischen Frage in den deutsch-slavischen Ländern wird thunlichst beschleunigt, desgleichen jene der Lutheraner in Siebenbürgen.

Es werden die schwebenden materiellen Rechtsfragen der Protestanten möglichst bald und befriedigend gelöst, wodurch zumeist auf die Beseitigung des gegen die Regierung vorhandenen Mißtrauens gewirkt werden wird.

15/4 1860