Leo Thun bedankt sich bei Justin Linde dafür, dass er den Druck einiger Zeitungsartikel verhindern konnte, die gegen Thuns Politik gerichtet waren. Er ist ihm für etwaige weitere Hinweise in dieser Sache dankbar, beispielsweise über die Urheber der Artikel. Thun ist sich nicht sicher, ob nicht auch in seinem eigenen Ministerium gegen ihn gearbeitet werde. Er versichert Linde, dass die Behauptung, er sei mit manchen Bestimmungen des Konkordats nicht einverstanden, falsch sei. Thun erklärt indes, dass er einen wissenschaftlichen Aufschwung befürworte, der sich auf katholischer Grundlage bewege. Er ist sich jedoch bewusst, dass er damit einen Spagat versucht. Der Minister will aber an seinem Kurs festhalten, auch wenn er manches Mal Fehler machen wird.
Wien den 17. Mai 1858
Geehrter Herr Staatsrath!
Ich bin Ihnen für Ihre gefällige Mittheilung zu herzlichem Danke verpflichtet.
Ich kann Sie nur vollkommen in der Uiberzeugung bestärken, daß die
Zeitungskorrespondenzen, derer Sie erwähnen in direktem Widerspruch mit meinen
Intenzionen stehen, und daß ich Ihnen sehr dankbar dafür bin, Sie zu verhindern.
Ich kann nicht dafür bürgen, daß nicht auch unter den Beamten des Ministeriums, dem ich
vorstehe welche seien, denen es erwünscht ist, wenn in Beziehung auf kirchliche
Tendenzen gegen das, was mir am Herzen liegt, agitirt wird. Wenn aber behauptet
wird, ich sei zu manchen Bestimmungen des Konkordates wider meine Uiberzeugung
gedrängt worden, und sehe es deshalb gern, daß die öffentliche Meinung gegen
deren Ausführung aufgeregt werde, so ist das nichts als Lüge und Verläumdung.
Was den Unterricht anbelangt, so ist es und bleibt mein angelegentliches
Bestreben es dahin zu bringen, daß wissenschaftlicher Aufschwung mit kath.
Richtung vereint zur Geltung gelange. Die Schwierigkeiten sind in dieser
Beziehung allerdings sehr groß, und werden es bleiben, so lange nicht auf allen
Gebiethen eine viel größere Auswahl bewährter kath. Kräfte zu Gebothe steht, als
bisher, und das kann doch erst eine Folge dessen werden, was hierzulande
geschieht. Ich fühle es sehr gut, daß ich inzwischen auf einem Seile tanze, und
es mag wohl sein, daß ich dabei mitunter bei dem besten Willen einen falschen
Schritt mache. So viel kann ich versichern, daß ich in dieser Beziehung nicht
aufhöre zu lernen. Die Zeitungsmanöver, die auf dem Gebiethe des Unterrichts
getrieben werden, um meiner kirchlichen Richtung entgegenzuwirken, sind mir in
ihren Erfolgen sehr wohl bekannt. Ihre Genesis und ihre Urheber habe ich noch
nicht entdeckt, Beweise darüber wenn auch nur zu meiner eigenen Belehrung wären
mir sehr erwünscht.
Ihren Brief, werther Herr Staatsrath, habe ich keinen
Menschen sehen lassen, und ich verbrenne ihn nun.
Sie gekränkt zu haben thut
mir sehr leid, ich kann nur mit aufrichtigem Herzen wiederholen, daß nichts
meiner Absicht ferner liegen kann, ich Ihnen vielmehr die herzlichste
Hochachtung stets bewahren werde.
Leo Thun