Der Historiker Max Büdinger übersendet Leo Thun einen nicht näher bezeichneten Aufsatz. Dieser hatte in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit einiges Aufsehen erregt und ihm zahlreiche Anfeindungen eingebracht. Büdinger versichert Thun, obschon er in keinem beruflichen Verhältnis zum Minister steht, dass er sich bei der Abfassung des Aufsatzes einzig von der Suche nach der Wahrheit und nicht von Gefühlen habe leiten lassen.
Hochgebietender Herr Staatsminister!
Hochgeborner Herr Graf!
Eure Excellenz haben mich vor Jahresfrist etwa mit einem Vertrauen beehrt, das
mich ermuthigt, Hochdenselben die beifolgende, mir leider erst vor wenigen Tagen
zugekommene Abhandlung zu überreichen.1
Es ist ohne Zweifel zur Kenntnis Eurer Excellenz
gelangt, dass sich in Folge der Veröffentlichung dieser Abhandlung gegen meine
Ehre ein Gegner erhoben hat, mit welchem ich mich in einen öffentlichen Streit
nicht einlassen kann, noch will. Zu einer kurzen Gegenerklärung von meiner
Seite, welche in diesen Tagen erscheinen wird2, hat mich nur die Rücksicht auf das
unbetheiligte Publikum bewogen.
Nun stehe ich in keinem amtlichen
Verhältnisse zu Eurer Excellenz und werde auch schwerlich jemals in einem
solchen zu Hochdenselben stehn; aber ich fühle mich doch gedrungen, ohne dass
irgend jemand von diesem, vielleicht kühn erscheinenden Schritte weiß, meinem
gepressten Herzen vor Ihnen, Herr Graf, und nur vor Ihnen, Luft zu
machen.
Es ist möglich, dass ich nach Menschenart in der beifolgenden
Schrift geirrt habe, und ich überlasse das getrost der erleuchteten Prüfung
Eurer Excellenz. Dessen aber bin ich mir bewusst, und ich kann es feierlich
erklären, dass nicht Liebe oder Hass gegen irgend einen Menschen, sondern der
reine Trieb, die Wahrheit zu finden und zu sagen, mich geleitet hat. Sie werden
selbst erkennen, dass ich die Namen der betheiligten Männer nur, wo es
unumgänglich war, in den Kreis der Untersuchung gezogen, dass ich sorgfältig
gemieden habe, zwischen der Urtheilslosigkeit oder Unredlichkeit derselben eine
mir nicht zukommende Entscheidung zu treffen.
Der Gedanke wäre mir zu
schmerzlich, dass die unbefleckte Reinheit meines Namens – das Einzige, worauf
ich stolz bin – in den Augen Eurer Excellenz gelitten haben könnte. In diesem
Sinne allein habe ich es gewagt, Ihre Aufmerksamkeit von wichtigeren
Angelegenheiten für eine kurze Zeit durch diese Zeilen abzulenken.
In tiefer
und aufrichtiger Verehrung, Herr Graf, habe ich die Ehre, zu zeichnen
Eurer Excellenz
ganz gehorsamster
Dr. Max Büdinger
Wien, 2. April 1859