Ein unbekannter Schreiber äußert sich zum negativen Einfluss von Semestralprüfungen an den Universitäten. Dabei bezieht er sich ausschließlich auf die juridischen Studien. Seiner Ansicht wirken sich Semestralprüfungen, anders als die Befürworter der Prüfungen denken, negativ auf den Eifer und die Fortschritte der Studenten aus. Er glaubt, dass Semestralprüfungen lediglich dazu führen, dass Studenten kurz vor den Prüfungen den Stoff auswendig lernen. Der Sinn eines Studiums sei jedoch nicht Auswendiglernen, sondern das Erlernen von geistigen Fähigkeiten und die geistige Durchdringung der gelehrten Inhalte. Der Schreiber spricht sich auch deshalb gegen Semestralprüfungen aus, weil diese das Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten belasteten. Nicht zuletzt glaubt der Schreiber, dass die Studenten, wenn sie während des Semesters in ihrem wissenschaftlichen Eifer gefördert würden, weniger anfällig für Ablenkungen und Verirrungen seien.
Semestralprüfungen
Jedes Examen hat den Zweck zu erkennen, was der Studirende gelernt hat.
Es
kommt darauf an, was man unter dem Gelernten versteht. Soll ein Examen nur den
Beweis liefern, daß der Student das in den Collegien Vorgetragene seinem
Gedächtnis eingeprägt hat, dann gewährt dasselbe keinen Maaßstab für die
Qualification des jungen Juristen zu irgend welcher praktischen Anwendung seines
Wissens, denn nicht alles was er vortragen hört, findet unmittelbare Anwendung
und nicht Alles was er im Leben braucht, kann vorgetragen werden.
In der
That soll aber das Examen Zeugnis geben von der geistigen Reife im Allgemeinen
und hierzu sind Semestralprüfungen schon um deswillen in keiner Weise geeignet,
weil sie sich nur auf den Inhalt der Vorträge beziehen
können. Mehr als die Bekanntschaft mit diesem ist nicht zu fordern,
weil in demselben Semester in welchem ein Colleg gehört wird, ein über das
Erlernen hinausgehendes Studium nicht einmal beginnen kann. Außerdem kommt es
ganz besonders auch für den künftigen Praktiker darauf an, daß er bei seiner
Ausbildung die einzelnen Disciplinen zu einer gesammten Wissenschaft verbinde,
da nicht die Quantität sondern die Qualität des Wissens das Wesen des Juristen
bestimmt, – und in wie weit dies der Einzelne zu thun verstanden hat, und in
dieser Weise zu einem gewissen Grade individueller Entwicklung fortgeschritten
ist, darüber können Semestralprüfungen niemals irgendwelchen Aufschluß
geben.
So zeigt sich also zunächst, daß dieselben die Staatsexamen zu
ersetzen außer Stand sind, aber es könnte die Frage entstehen, ob sie nicht neben den letzteren zweckmäßig bestehen würden?
Dies als
wünschenswerth anzusehen wird man sich vielleicht vorzugsweise dadurch veranlaßt
fühlen, daß man glaubt die Semestralprüfungen würden am sichersten zu einem
stetigen Fleiß und richtiger Benutzung der Zeit anhalten, und die Staatsexamina
in Folge davon um so besser ausfallen. Es ist deßhalb gleich anfänglich darauf
aufmerksam zu machen, daß, so wenig ein Staatsexamen nur ein Conglomerat von
Semestralprüfungen ist, ebensowenig auch ein guter Erfolg bei den letzteren im
einzelnen Fall auch einen befriedigenden Ausgang des ersteren nach sich ziehen
muß. Es läßt sich zunächst sehr wohl die Möglichkeit denken, daß der Nämliche,
der die Semestralprüfungen glücklich bestanden hat, ohne etwas von seinem
erlernten Wissen zu vergessen, schließlich im Staatsexamen reprobiert wird, weil
man hier, und zwar aus durchaus praktischen Rücksichten auf die Würde und das
Ansehen des Staatsdienstes, eine geistige Entwicklung fordern muß, die der junge
Jurist zwar durch die Vorträge aber doch sich selbst nur verschaffen kann. Eine
solche Möglichkeit würde aber an sich vielleicht nicht in Betracht kommen, wenn
sich nicht nachweisen ließe, daß die Semestralprüfungen indem sie eine falsche
Art zu studiren einführen, diese nothwendige geistige Entwicklung bei dem
Einzelnen hemmen.
Ein Theil der Vorlesungen welche der Jurist zu hören hat,
bezieht sich auf entferntere Hilfswissenschaften wie Philosophie und Geschichte,
ein zweiter auf diejenigen Rechte welche als die Factoren des heutigen
Rechtszustandes erscheinen (Römisches, Canonisches, deutsches Recht), ein
dritter endlich auf das unmittelbar geltende Oesterreichische Recht. Ein Memoriren dieser einzelnen Collegien hat ersichtlich bei den
ersten gar keinen Werth, bei den zweiten vernichtet ein mechanisches Erlernen
vollständig den Zweck, um dessentwillen sie betrieben werden, endlich ist selbst
bei dem Oesterreichischen Recht ein Auswendiglernen der Gesetze völlig werthlos.
Kein Richter kann ein Gesetz zur Anwendung bringen, ohne den beglaubigten Text
nachzuschlagen, kein Wissen in dieser Beziehung ist nicht mehr werth als ein
Exemplar des Civilgesetzbuchs; er muß wissen wie und wann ein Gesetz zur Anwendung zu bringen ist, und das kann er
nicht auswendiglernen.
Die Jurisprudenz will studirt nicht memorirt sein,
Semestralprüfungen halten aber ab vom Studiren indem sie das Memoriren
vorschreiben. Um eine gute Semestralprüfung zu machen, ist der Student gezwungen
sich das einzulernen, was er im Auditorium gehört hat, nicht das Recht lernt er
kennen, sondern das was der betreffende Dozent für gut befunden hat ihm
mitzutheilen, er ist in seiner schließlichen Befähigung von der Tüchtigkeit
seiner Lehrer völlig abhängig, zu einem selbstständigen Urtheil gelangt er
nicht, die Mittelmäßigkeit wird für ihn zum Gesetz gemacht. So gestaltet sich
sein Wissen nicht als ein brauchbares Ganzes, sondern zu einer Musterkarte
einzelner Kenntnisse in den einzelnen Disciplinen, von denen er die zuletzt
gehörten am besten, die zuerst gehörten am schlechtesten kennt. Ist das
Staatsexamen denn so wie es sein soll, so kann er dasselbe nicht bestehen, macht
man dasselbe leicht, so kommen Leute in das Geschäftsleben, die weder wissen was
sie brauchen, noch auch brauchen was sie wissen. Letzteres hat man früher schon
öfter gefühlt, und damit abzuhelfen gesucht, daß man den Kreis der
Lehrgegenstände immer mehr auf das unmittelbar Praktische beschränkte, dadurch
kann erreicht werden, daß die Studierenden von dem nicht brauchbaren noch
weniger lernen, aber nicht daß sie mehr lernen von dem was sie brauchen.
So
sind Semestralprüfungen aus innern Gründen und vom wissenschaftlichen Standpunkt
aus völlig verwerflich, es sprechen aber noch außerdem sehr erhebliche äußere
Gründe gegen dieselben. Erstens zwingen Semestralprüfungen nicht zum Fleiß,
sondern führen höchstens darauf den Unfleiß zu verbergen. Es wird auch wenn sie
angeordnet sind nicht deßhalb das Semester über gearbeitet, sondern es wird die
letzten vier Wochen auswendig gelernt.
Zweitens wird durch sie das richtige
Verhältnis zwischen Dozent und Student vollständig untergraben. Der Professor
erscheint immer nur als ein gefürchteter Examinator, gegen den sich ein
förmliches System des Trugs und Hintergehens organisirt; anstatt daß er die
Studirenden zu sich heranziehen könnte, und mit ihnen arbeitete, lernen sie für
sich in einer gewissen Opposition gegen ihn. Ja er darf sich nicht einmal mit
dem Einzelnen beschäftigen, weil er diesen von dem Memoriren andrer Vorträge
abzuhalten fürchten müßte.
Endlich sind bei jedem Studienplan die
Semestralprüfungen nutzlos zeitraubend, und zugleich nicht einmal geeignet, ein
sicheres, von dem Einfluß der Zufälligkeiten unabhängiges Urtheil über den
einzelnen Studierenden rechtfertigen zu können. Bei dem jetzigen Studienplan
sind sie wegen Mangel an Zeit völlig unausführbar.
Zuletzt darf noch auf ein
nicht unerhebliches Bedenken hingewiesen werden.
Es wird sich unbedingt
unter der studirenden Jugend mehr oder minder zu allen Zeiten ein gewisses
wissenschaftliches Bedürfnis kund geben. Sobald die Studien durch die
Semestralprüfungen den Charakter eines gehässigen Zwanges annehmen, wird sich
jenes Bedürfniß außerhalb des Kreises derselben seine Befriedigung suchen, und
hier ungeregelt und ohne Leitung zu Verirrungen aller Art führen, die, wenn sie
eintreten, eben nicht eine Folge der Wissenschaft, sondern eine Consequenz der
indirect sanctionierten Unwissenschaftlichkeit ist. Will man hiervon sich
bewahren, so kann man dies nur dadurch thun, daß man eine individuelle geistige
Entwicklung, mit der sich Semestralprüfungen niemals vertragen werden, zuläßt
und fördert.