Leo Thun äußert sich in dem Entwurf für einen Zeitungsartikel zur unangemessenen Reaktion der ehemaligen Reichstagsdeputierten an der Kritik am Reichstag. Er findet, dass man als Angehöriger einer Körperschaft oder Institution nicht persönliche Eitelkeiten auf die Einrichtung, der man angehört, übertragen solle.
Empfindlichkeit der Herren Exdeputirten
Dem Menschen ist die sonderbare Eigenschaft eigen, daß er auf jede Körperschaft,
auf jede Gesammtheit, deren theiliges Glied er ist, seine persönliche Eitelkeit
und Selbstgefälligkeit überträgt. Sobald er einer Körperschaft angehört, mag er
die Fehler nicht mehr sehen, die sie wirklich hat, selbst dann nicht, wenn sie
nicht sowohl ihm als anderen Gliedern zur Last fallen, um so mehr freilich, wenn
er sie selbst mitverschuldet.
Wer Personen kennt, der[sic!] im Staatsdienste
nach und nach verschiedenen Behörden der fachweiten bürokratischen Hierarchie
angehörte, hat gewiß so gut wie wir beobachtet, wie sie von einer auf die andere
ihre Verblendung und Empfindlichkeit zuwandten. Der Praktikant im Gubernium war
ganz erfüllt von der Würde und Weisheit dieser hohen Landesbehörde und konnte
sich nicht genug ärgern über die Albernheit und Arroganz der Kreisämter, wenn
sie mit den hohen Gubernialverordnungen nicht einverstanden waren. Kam dann der
Herr Praktikant in das Kreisamt hinaus, so war er in Kurzem von der Überzeugung
durchdrungen, daß nichts verdrießlicher sei als die Gubernialverordnung, mit der
das Gubernium immer alles besser machen wolle und jede Rüge, jede Betreibung,
die dem Kreisamte im Allgemeinen zu Theil wurde, verletzte ihn auf das
Empfindlichste. Erlaubte sich gar eine Partei über das Kreisamt zu räsoniren, so
fühlte er sich gar gekränkt, wenn auch der Vorwurf sich auf Mängel bezog, die
objektiv unbestreitbar waren. Gerade so geht es nun den Herren Exdeputirten.
Sobald wailand dem hohen Reichstag ein Vorwurf oder eine Ausstellung gemacht
wird, gebährden sie sich wie der Truthahn, wenn er ein rothes Tuch sieht, ob es
gleich gar nicht in der Absicht getragen wurde, ihn damit zu reizen. Ja die
Adresse, welche sich für das vorläufige Festhalten an der Verfassung vom 4. März
ausspricht, enthält eine obgleich sehr schonende Kritik des Reichstages, darum
sind die Herren Exdeputirten sichtlichst aufgebracht darüber.