Memorandum zu den Erfahrungen mit den Veränderungen in der Waisenkassenverwaltung in einigen Orten Niederösterreichs
Gloggnitz, 22. August 1857
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Regest

Der Schreiber berichtet über die Veränderungen bei der Waisenkassenverwaltung in einigen Herrschaften in Niederösterreich: Bisher wurden die Vermögen und Erbschaften von Waisen in Kumulativkassen eingezahlt, die für die Waisen einen ertragreichen Zinssatz boten. Diese Kassen konnten der Landbevölkerung günstige Kredite ohne großen Aufwand vergeben. Nach der Abschaffung der Kassen fehlt es einerseits an einer guten Vermögensverwaltung für Waisen und andererseits an günstigen Krediten für die Landbevölkerung. Die meisten Bauern sind auf solche kleinen Kredite aber angewiesen und müssen nun als Ersatz häufig Land verkaufen, was zu einer Verarmung der Landbevölkerung führen wird.

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Notiz

Meiner Ansichten und Erfahrungen über die frühere und gegenwärtige Waisen-Vermögens-Verwaltung auf dem flachen Lande.
Der Eingangs angesetzten ziffermäßigen Nachweisung, ist die Annahme, als der Thatsache nahe liegend zu Grund gelegt "ein Pupillen-Vermögen werde durchschnittlich 10 Jahre verwaltet."

In öffentlicher Hand bei Sparrkassen bei Privaten
f. f. f.
1. Von den Herrschaften Gloggnitz, Wartenstein,
Kreisberg, Stuppach, Pottschach, Schottwien, und
Kranichberg wurde mit Ende Juni 1850 übergeben
4.476 160 250.370
2. Vom 1. Jänner 1851 bis Ende 1856 als neue
Verwaltungsperiode beträgt der Zuwachs
23265 15888 157085
hiezu zur Gleichstellung der 10jährigen Periode 4/58[?] 7755 5296 52362
3. Gilt das jetzige Verwaltungsverhältnis 31.020 21.184 209.447
4. Von den Privatschulden haften bei Eltern für Kinder 171.024 ein sehr ungünstiges
Verhältnis, die Eltern
mißtrauen den Vormündern schulden
daher lieber ihren Kindern
selbst
dagegen bei Fremden angelegt 38.423

Nach den vor Einführung der lh. Gerichte bestandenen hohen Vorschriften, über die Waisenamt-Geschäfteführung wurden die baar zu Gerichte erlegten Erbbeträge von Pupillen in die gemeinschaftliche Waisenkasse genommen, und auf den Namen des Waisenamtes gegen Realsicherheit hindangegeben. Den Pupillen wurde ein Konto auf der Kumulativkasse eröffnet, – die 5 % Zinsen soweit selbe nicht behoben wurden, in runden Guldensummen alljährlich zu Kapital geschlagen, und sofort das Vermögen in der Regel in 16 Jahren verdoppelt.
Auf diese Weise genoß einerseits das Vermögen der Pupillen eine sehr zweckmäßige Verwaltung, und andererseits zeigte die Waisenkasse als natürliches Creditinstitut für das flache Land (indem nur selten wie mein Ansatz 1. nachweiset, in öffentlichen Fonds und Sparrkassen Anlagen gemacht wurden), die segensreichsten Folgen für Agrikultur und Kontributionsfähigkeit.
Der Landmann kam zur ehemaligen Herrschaft both Pupillarsicherheit, und erhielt, in kurzem Wege, ohne allen Zwischenhandl, ohne allen Auslagen, durch Gänge etc. etc. gegen einen intabulirten Schuldschein ein Darlehen, das er nach Gepflogenheit seinen Kräften angemessen, selbst in kleinen Beträgen zurückerstattete; derselbe schaffte sich im Augenblicke des Bedrängnisses schnell die nöthigen Mittel um sein Reale gehörig bewirthschaften, – die Mittel auf Verbesserung etwas anwenden – endlich die Mittel seine materiellen Verhältnisse kräftigen, somit kontributionsfähig bleiben zu können.
Die Sicherheit von diesen so schönen Institute wurde durch die auf den Dominikalgütern gesetzlich haftende Octava und die Kontrolle theilweise durch Vorlage der Waisenamts-Abschlüße an die k.k. Kreisbehörde und theilweise durch die Scontrirungen bewerkstelliget.
Durch Aufhebung der Patrimonial-Gerichtsbarkeit wurde die Auflösung der cumulativ Waisenkosten und Umwandlung in Singularmaßen, wie selbe in der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien früher bestanden, herbeigeführt und dekredirt, was mit schmerzlichen Widerhall bei dem Landvolk umso mehr empfunden wurde, als es dieses schöne Institut fallen sah, dem es mit Recht gewohntes, unbedingtes Vertrauen schenkte, es sah sich seines natürlichen Helfens in der Noth beraubt, und erkannte im richtigen Vorgefühle, daß in Hinkunft die disponiblen Gelder, wie mein ad 3–1 dargestelltes Verhältnis zeigt, in öffentliche Fonds und Sparrkassen flüßen werde.
Nach dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche Gerichts- und Depositeninstruktion, haben die Vormünder, als Vertreter der Pupillarvermögenschaften, dem Bezirksgerichte Rechnung zu legen, bei Kapitalanlagen, Fruktificierungs-Vorschläge zu machen (was bei cumulativer Waisenverwaltung entfällt) bei Erfolglassungen schriftlich hierum einzuschreiten, zu dessen Bewerkstelligung dieselben, da beinahe keiner im Stande ist, eine einfache Bitte oder Quittung zu schreiben, Advokaten oder Notare in Anspruch nehmen müssen, wodurch von der größeren Anzahl kleiner Kapitalien, die Zinsen auf mehrere Jahre in Anspruch genommen sind, und zur Folge hat, daß Zinsen von diesen Vermögenschaften 7–8 Jahre nicht behoben, unfruktificirt, ja oft uneinbringlich werden. Auch tritt häufig der Fall ein, daß Vormünde die Urkunden in Händen behalten, nicht deponieren, und daß selbst Schuldurkunden Jahre lange nicht ausgestellt werden.
Die Gerichte welchem Zeit und Arbeitskräfte mangeln, kann die Vormünde nicht überwachen, und ich glaube behaupten zu können, daß über die Hälfte der Pupillarmaßen in der Provinz Niederösterreich kein Vormundschaftsrechnungen gelegt sind, für diese Annahme, und den vorangeführten Thatsache spricht der Abschluß der Waisenämter resp. der summarische Scontro, nach welchem die rückständigen Zinsen mindestens die Höhe von 1/3 der Kapitalforderungen betragen, und einen namhaften Überschuß im Aktivstand nachweisen, so ist der Stand der cumulativ Kapitalien in Gloggnitz mit Ende 1856 8802 fl. Dagegen betragen die fälligen unbehobenen Zinsen 3009 fl.
Nicht allein in Gloggnitz dürfte sich dieses Ergebnis zeigen, sondern auch bei einer Zusammenstellung sämtlicher Waisenamt Scontros, würde sich wahrscheinlich dasselbe ungünstige Resultat für die Vermögens-Verwaltung der Pupillen herausstellen.
Somit glaube ich nach meiner Erfahrung und Anschaungsweise, dargethan zu haben, daß die frühere Pupillar-Vermögens-Verwaltung ungleich vortheilhafter gegen die jetzige war.
Diese dargestellten Nachtheile sind jedoch geringfügig gegenüber den Nachtheilen, welche die oft besprochene Auflösung der kumulativen Waisenkassen auf die Landwirtschaft, dieses in der österreichischen Monarchie so wichtigen Zweig der Nationalökonomie übt. Daher ich mir einiges in dieser Richtung zu erwähnen erlaube.
Wie bereits gesagt war die cumulative Waisenkasse das natürliche alleinige Credits-Institut der Landbewohner, wo sie ohne alle Schwierigkeit Darlehen bis zu dem Betrage von 20 fl. erhielten – nun aber legen die Vormünde wie mein ziffermäßiger Ansatz 3–4 beweiset die disponiblen Gelder größtentheils in Staatspapieren und Sparrkassen an, und nur sehr wenig Kapitalien und diese größtentheils durch Einlösung von cumulativ Schuldscheinen, werden bei Privaten elocirt. Größere Creditanstalten geben auf das flache Land keinen Kredit, Private angezogen durch die hohen Prozentengenuß spekuliren in öffentlichen Fonds- und Industriepapieren, selbst die Sparrkassen üben dasselbe, somit ist es für den Landmann der kleine Kapitalien benöthiget gegenwärtig eine Unmöglichkeit sich selbe zu schaffen.
Wie groß das Bedürfnis nach kleinen Kapitalien unter 300 fl ist, zeigt daß von den 600 Aktivschuldscheinen des Waisendepositenamtes Gloggnitz 450 auf die Beträge bis 300 fl. und kaum 50 über 600 fl. lauten, auch dürften hierüber die Procentual-Eintragungsgebühren Aufschluß geben. Diese vorbesprochenen ungünstigen Geldverhältnisse haben die nachtheiligen Folgen, daß der Landmann zum Verkaufe von Grundstücken schreitet, seine Oekonomie vernachlässiget, sofort den durch die Landwirtschaftsgesellschaft und rationelle Landwirtschaft gezeigten Fortschritt, bei sich nicht in Anwendung bringen kann, somit an ein Vorwärtsschreiten der Landwirtschaft unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht zu denken, und eine theilweise Kontributions-Unfähigkeit zu besorgen ist.
Um den Einwurf zu begegnen, daß die Geldverhältnisse auf dem Lande nicht drückend sind, weil die l.h. Steuern regelmäßig eingehen, muß ich die unbestreitbare Thatsache entgegenstellen, daß die Grund- und Häusersteuer, gegenüber dem Werthe der Naturprodukte zu geringe ist, daher leicht bestritten werden kann.
Wie sehr auf dem Lande Geld gesucht wird, mögen die mir nach neuerlichen, in der kürzesten Zeit vorgekommenen Nachfragen nach Geld, beweisen, wo bei einigen wegen Mangel, Realitäten verkauft wurden als:
Ignaz Rabensteiner von Gloggnitz
Franz Huber von Gloggnitz
Wittwe Waseni[?] von Gloggnitz
Johann Höttel von Gloggnitz
Franz Vogt von Enzenreith
Joseph Ritter[?] von Otterthal
Simon Feiertag von Stuppachgraben
Johann Först von Schlögelmühl
Ignaz Sika von Gloggnitz
Josef Gebhart von Beierbach
Karl Geisel von Stuppachgraben
Leopold Rottensteiner von Göttschach
Johann Gruber von Grünsting
Karl Fröhlich von ..[?]
Mathias Nider..[?] von Schlögelmühl
endlich Johann Kostenwein von Gloggnitz.
Letzterer erhielt von einem Vormund das Versprechen eines Darlehens, Kostenwein ließ sein Reale[?] schätzen, stellte einen Schuldschein aus, ließ selben intabulieren, zahlte die Prozentualgebühr, und nach allen diesen verweigerte der Vormund die Gelderfolgung; so hatte der Mann eine Satzpost auf dem Hause, ohne Geld erhalten zu haben und bei 30 fl. Auslagen.
Schließlich erlaube ich mir zu bemerken, daß die Einrichtung von cumulativ Waisenkassen entweder in den Händen der allerhöchsten Staatsverwaltung oder in den Händen von Comunen unter gehöriger Controlle, eine unberechenbare Segnung für das flache Land wäre, welche mit allgemeinem Dankgefühle begrüßt werden würde.

Gloggnitz am 22. August 1857

Walter