Leo Thun teilt Agenor Goluchowski, Statthalter von Galizien, mit, dass
die kyrillischen Schriftzeichen in Galizien vorerst nicht abgeschafft
werden. Thun erklärt diese Entscheidung, die gegen den Ratschlag von
Goluchowski gefallen ist, in der Folge ausführlich und bittet den
Statthalter um Verständnis dafür. Als wesentlichen Grund für die
Entscheidung führt Thun an, dass eine oktroyierte Abschaffung der
kyrillischen Schriftzeichen die Stimmung gegen Österreich nur noch
weiter verschärft hätte. Insbesondere der Klerus, der bereits jetzt
vielfach einen Anschluss an Russland wünsche, hätte die Maßnahme
bekämpft. Thun glaubt daher, dass die Regierung Schritte unternehmen
müsse, um den Klerus für sich zu gewinnen. In diesem Sinn bittet er
Goluchowski auch, sein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Klerus zu
mäßigen. Dabei bezieht er sich auch auf den Fall des Lemberger
Weihbischofs Litwinovicz, den Goluchowski, aus Thuns Sicht zu Unrecht,
wegen antiösterreichischer Ansichten diffamiert hatte. Thun verteidigt
außerdem das Konkordat, dem Goluchowski offenbar ebenfalls skeptisch
gegenübersteht. Am Ende bittet Thun nochmals um Nachsicht für seine
Kritik und um Verständnis für seine Politik.
In der ersten Beilage
schildert ein nicht genannter Schreiber die Stimmung in Galizien. Dabei
geht er besonders auf den Plan ein, die kyrillischen Buchstaben der
ruthenischen Sprache durch lateinische zu ersetzen. Dieser Plan werde
besonders vom Statthalter Goluchowski eifrig verfolgt. Der Haustheologe
der Familie Goluchowski habe hierzu auch ein Manifest verfasst, das
derzeit eifrig diskutiert werde. Die Ruthenen seien unterdessen besorgt,
dass die Regierung sie nicht gegenüber der polnischen Mehrheit
schütze.
Die zweite Beilage umfasst Notizen Thuns zu einzelnen Akten
des Ministeriums für Kultus und Unterricht hinsichtlich der ruthenischen
Gymnasien.
Die dritte Beilage beinhaltet Auszüge aus Akten des
Ministeriums für Kultus und Unterricht von den Jahren 1857 bis 1860 in
Betreff der ruthenischen Orthographie.
Die vierte Beilage enthält
einen Auszug aus den Verhandlungen der Beratungskommission zur
ruthenischen Sprachenfrage.
Die letzte Beilage befasst sich mit der
Situation der ruthenischen Sprache in Galizien. Dabei wird die Stellung
des Ruthenischen zu Russisch und Kirchenslawisch behandelt und auch die
verschiedenen Versuche der Angleichung an das bzw. die Übernahme des
Russischen besprochen. Außerdem wird konstatiert, dass die Entwicklung
einer eigenen ruthenischen Literatur in den letzten Jahrzehnten einen
kurzen Aufschwung erlebt hatte, nunmehr aber ein Stillstand eingetreten
sei. Die Förderung der Sprache seitens des Ministeriums wäre daher
notwendig.
Beilagen:
Verweis auf A3 XXI D512.
An Graf Goluchowski
Hetzendorf, 25. Juli 1859
Werthester Freund!
Ich bin Ihnen wahrhaft dankbar, daß Sie sich brieflich gegen mich ausgesprochen
haben, weil es mir die Möglichkeit gibt es auch mit voller Offenheit zu thun und
doch hoffen zu dürfen, daß unter der Offenlegung wesentlich abweichender
Auffaßung in dem was unseres Amtes ist, wenigstens meine freundschaftlichen
Beziehungen zu Ihnen, die mir lieb und werth sind, nicht leiden werden. Aus
diesem Präambulum werden Sie ersehen, daß ich in der anhängigen Angelegenheit
gegen Ihre Meinung entschieden habe. Soeben habe ich die verschiedenen, damit
zusammenhängenden Konzepte approbirt und adjustirt und theilweise selbst
geschrieben, wahrlich nicht weil ich widernatürliche Bestrebungen unter den
Ruthenen in Schutz nehmen oder deren Gefährlichkeit nicht sehen will, sondern
weil ich fest überzeugt bin, daß die imperative Veränderung der Schreibweise sie
nicht beseitigen, sondern nur steigern würde. Sie werden mir das Zeugnis geben,
daß ich in den Versuch aufrichtig eingegangen bin, allerdings aber immer nur in
der Erwartung und unter der Voraussetzung, daß es gelingen werde, ihn auf dem
Wege der Überzeugung von der Zweckmäßigkeit zur Geltung zu bringen. Der Verlauf
der Verhandlung hat diese Überzeugung bei andern nicht erzeugt und in mir selbst
mehr geschwächt als gestärkt. Damit will ich sagen: vom ruthenischen Standpunkte
aus betrachtet, erscheint mir die Frage der Zweckmäßigkeit mindestens
zweifelhaft. Vom österreichischen Standpunkte wäre sicher nichts dagegen
einzuwenden, wenn die Ruthenen zur lateinischen Schreibung übergingen, sie aber
dazu zwingen zu wollen, sich deshalb mit ihrem Klerus in einen höchst
aufregenden Kampf einzulassen, noch viel sicherer ein gewaltiger Mißgriff; der
Versuch könnte überdies unmöglich gelingen. Sie sind der Meinung: "Das Volk
wünscht es, nur die Sonderpartei ist dagegen." Aber zu dieser "Sonderpartei"
rechnen Sie die beiden Ordinariate und Konsistorien und wie Sie mir schreiben
"die meisten griechisch-katholischen Geistlichen, weil ihnen ein politischer und
religiöser Anschluß an Rußland so ausnehmend zusagt". Nun sind aber nach
österreichischer Schulverfassung die Schulen in den Händen der Ordinariate und
der Geistlichkeit; was sie mit aller Entschiedenheit nicht wollen, ist also,
ohne diese Verfassung zu ändern, nicht zu erreichen. Der Versuch, die
lateinische Schrift imperativ durchzusetzen, würde das ganze ruthenische
Schulwesen in völlige Verwirrung bringen; und die Wahrheit, daß es an und für
sich doch etwas gleichgültiges ist, ob mit diesen oder jenen Buchstaben
geschrieben wird; und daß es doch 1000mal besser ist die Leute schreiben zu
lassen, wie sie es von jeher gewohnt sind, als deshalb zu Gott weiß was für
Maßregeln gezwungen zu werden, ist so einleuchtend und tritt daher allen denen,
die von dem philologischen Zusammenhang der ganzen Geschichte gar nichts
begreifen, noch um so schreiender vor die Augen, daß ganz zuverläßig alle meine
jetzigen, wie alle denkbaren künftigen Kollegen und jeder Kaiser von Oesterreich
dem Statthalter und dem Minister, der solches unternehmen würde, sehr bald das
Handwerk legen würden.
Daraus wollen Sie ersehen, daß ich aus eigener
Überzeugung und nicht etwa blos unter dem Einfluße von dem a. oder b. die Idee
der Einführung lateinischer Lettern fallen lassen muß, so leid es mir thut,
dadurch Ihrer Ansicht entgegenzuhandeln und Sie einigermaßen zu kompromittieren.
Noch viel schwereren Kummer macht es mir aber zur klaren Einsicht gelangt zu
sein, daß diese Meinungsverschiedenheit nur die Folge einer viel allgemeineren
und tiefer liegenden ist. Sie perhoresziren den ruthenischen Klerus im
Allgemeinen und Sie sind – wie Sie dem
Ich bin weit davon entfernt Ihre Gegner unter dem ruthenischen Klerus
weiß waschen zu wollen. Es sind darunter leidenschaftliche hochfahrende
Parteimänner; die – gelinde gesprochen – Unregelmäßigkeiten, die im Jahre 1848
ungerügt blieben, haben dazu beigetragen sie unfügsam und schwer zu behandeln zu
machen. Ich glaube es auch – obwohl mir vollgiltige Beweise noch nicht
vorgelegen sind – daß sich unter der ruthenischen Geistlichkeit manche befinden
mögen, die zum Schisma und zur russischen Regierung hinneigen, daß Sie aber
wiederholt Vorwürfe, die gegen einzelne gerecht sein mögen, generalisiren und
dem ruthenischen Klerus im Allgemeinen machen, ist – verzeihen Sie mir meine
offene Sprache – sehr ungerecht und eben deshalb außerordentlich verletzend. Und
wenn man Leute, die auf einer niederen Stufe geselliger Bildung stehen,
ungerecht verletzt, so kann es nicht fehlen, daß ihre Fehler sich steigern. Die
Verhältnisse der Ruthenen den Polen gegenüber müssen sie dazu treiben, daß sie
entweder auf die österreichische Regierung und dann auch auf
Die große politische
Bedeutung des Konkordates – abgesehen von der moralischen Bedeutung der
Verwerfung der mit der christlichen Wahrheit unvereinbaren und die Kirche
untergrabenden febroninischen Grundsätze – liegt darin, daß es denjenigen, denen
der Herr die Regierung seiner Kirche übertragen hat, es möglich macht wieder
aufrichtig an die österreichische Regierung sich anzuschließen und ihren
moralischen Einfluß auf das Volk für sie geltend zu machen. Daß die katholische
Geistlichkeit einen großen Einfluß auf die Gläubigen habe, ist in der Ordnung;
er wird im Verlaufe der Dinge immer der Sache des Rechts förderlich sein.
Es
ist eines der naturgemäßen und der einflußreichsten konservativen Elemente im
sozialen Organismus; darum wehe der Regierung, die ihn zu zerstören versucht. Er
kann in der Hand sündiger Menschen, die wir alle miteinander sind, ausarten;
dann wird man recht thun der Ausartung entgegenzutreten, – aber niemals die
Wurzel angreifen. – Sind Sie mit diesen Ansichten nicht einverstanden, so
bedenken Sie gleichwohl, daß nicht ich das Konkordat
geschlossen habe – sondern der
Kaiser
und daß es seinem entschiedenen Willen
entgegengehandelt ist, wenn nicht im Geiste desselben vorgegangen wird.
Aufrichtig der Ihrige
Thun
Geschlossen den 29. Juli
Auszug aus einem Briefe aus
Gleich am ersten Tage als das Machwerk des entschiedenste Regierungsmaßregel sey, nach aller
Kraft zu fördern, am allerwenigsten aber sich beikommend zu lassen selbe zu
bekämpfen; dabei würde ihm ausdrücklich und zu
wiederholten Malen seine Stellung als Staatsbeamter unter die Nase gerieben.
beständig
in den Klassen der hiesigen Gymnasien herumlauft, die ruthenischen
Gymnasiasten ohne alle Ursache bald lobhudelt, bald wüthend anfällt,
besonders aber die ruthenischen Lehrer und gar schon unsere Katecheten auf's
Korn genommen hat; letzteren hat er ausdrücklich gedroht,
daß er sie alle "wegblasen" werde.
Nachstehende wohl
verbürgte Notizen dürften sowohl Ihnen als auch dort oben nicht
uninteressant sein.
1. Es ist hervorgekommen und kann durch Zeugen
konstatirt werden, daß der Jesuit jeden
Wisch konfiscirt hat, den nur irgend ein simpler Basilianer in
ruthenischer Sprache mit polnischen Buchstaben
niedergeschmiert hat. Das Manuskript des zweimal abgeschrieben
werden.
2. ganz
verbürgt – besonders betont wurde: "Upokorzyłem największych wrogów
waszych i sprawy polskiej w Kraju; daliście mi słowo, iż moje dążności nietylko niczem
paraliżować nie będziecie, coby moje stanowisko w obec rządu
(!) utrudniało, ale owszem wspierać chcecie zupełną harmoniją z rządem (!) dalsze kroki (!), a teraz, gdy właśnie najważniejszy krok uczynić pozostaje, urojiliście sobie
niepotrzebną i zgubną demonstracyę." (Ich habe eure und der
polnischen Sache im Lande größten Feinde gedemüthiget; ihr habt mir euer Wort gegeben, daß ihr meine
Tendenzen nicht nur durch Nichts paralysiren werdet, was meine
Stellung der Regierung gegenüber (!) erschweren würde,
sondern vielmehr in voller Übereinstimmung mit der
Regierung (!) meine weiteren Schritte
unterstützen wollet; und jetzt, wo eben der wichtigste
Schritt zu thun noch übrig bleibt, fällt euch ein eine unnütze und
verderbliche Demonstration zu machen.")
Und doch half auch dieses nicht;
die Adresse wurde unter den bittersten Ausfällen gegen die Regierung
abgelehnt; die Polen verließen nach
Dresden
, wo, wie man hier allgemein
spricht, eine Hauptberathung über die
Aber sagen Sie mir doch um Gotteswillen! Ist man denn dort in
In ruthenischen Angelegenheiten
18634 [1]855
Ministerialerlaß mißbilligt den schriftlichen Verweis, der
dem
8721 [1]855
Ministerialerlaß,
daß dem
272/CUM [1]855
Untersuchung über Disziplinarfall
in
Mehrere ruthenische Schüler hatten Versammlungen gehalten, um gegen
einen polnischen Losinski [?] Klage zu führen. Von Letzterem schändliche
Gotteslästerung nachgewiesen. Er hatte politische Dispute über die damalige
Lage (Frage im russischen Krieg) provozirt. Die Ruthenen sich dabei mehr
oder weniger russisch aussprachen. Damit wurde großer Lärm wegen schlechter
politischer Gesinnung, panslawistischen Umtrieben gemacht. Nebst Losinski
[?] die Ausschließung von 5 ruthenischen Schülern von allen Gymnasien
beantragt. (Letzreres vom Ministerium nicht genehmigt.) Nebstbei
hervorgehoben, daß der Einfluß der ruthenischen Geistlichkeit bedenklich sei
und sie deshalb möglichst vom Lehramt werden fern gehalten
werden!
301/CUM [1]855
Aus diesem Anlaße auch Erhebung, warum die
Ruthenen bei der Messe nicht knien.
18590 [1]858
Das
griechisch-katholische Ordinariat hatte dagegen Einsprache erhoben, daß
griechisch-katholische Schüler am Franz-Joseph-Gymnasium dem
lateinisch-katholischen Katecheten zugewiesen werden. Die Statthalterei
erklärt diese Einsprache für unzuläßig!
Besondere Bemerkungen:
ad
18593 [1]858 Beleuchtung und Begründung des Mißtrauens der Ruthenen gegen
ad 1800 [1]858 Beleuchtung der
Vorgänge
ad
3817 [1]860 Beleuchtung des Berichtes über die Einsprache des Lemberger
Gemeinderathes gegen den Ministerialerlaß, daß an das Franz-Joseph-Gymnasium
keine ruthenischen Schüler aufgenommen werden sollen.
1084/CMU [1]860
Bemerkungen über
3870 [1]859 Bemerkungen über die
Behauptung, daß ruthenische Lehrer sich durch Anwendung eines aus dem
kirchenslawischen und dem ruthenisch gemischten Idioms dem großrussischen
zuneigen.
Jahr 1857
554/CUM
Oberste Polizeibehörde macht auf die Nothwendigkeit aufmerksam,
eine gleichförmige und von der russischen Sprache prägnant unterschiedene
Schreibart für das Ruthenische zu stabilieren.
1632 CUM
Rüge an
Prof.
Jahr 1858
418/CUM
Bericht des möglichst ausgedehnten Maaße durchführen zu lassen und zugleich
beim Justizministerium dahin wirken zu wollen, daß die Herausgabe des
Landesregierungsblattes in ruthenischer Übersetzung mit lateinischen
Schriftzeichen angeordnet werde." (eingeschlagen)
In
dem Erlasse wird auf dieses Einrathen eingegangen, der Gegenstand jedoch
einer besonderen Verhandlung vorbehalten. (Eingeschlagen)
Wird angetragen im
Untergymnasium nur Polnisch für alle Schüler obligat zu machen und das
Ruthenische erst im Obergymnasium aufzunehmen; wird auf Einführung der
lateinischen Schrift in den Schulbüchern gedrungen; endlich die
Einführung des Gregorianischen Kalenders
befürwortet.
1358/CUM
Erster Entwurf, wie das Ruthenische mit
lateinischen Schriftzeichen zu schreiben wäre, an den
1510/CUM
Gutächtlicher Bericht darüber.
Erlaß: Die
Commission hat in
Jahr 1859–1858
2. 23/CUM
Antrag wegen Ernennung der Commissionsmitglieder.
1.
1603/CUM
Erledigung der bezüglich der Pflege der ruthenischen
Volkssprache erlassenen Hirtenbriefs. Conf 488 – 58
Jahr 1859
634/CUM
Anordnung wegen Beginn der kommissionellen Berathungen.
(23/5
717/CUM
Erlaß an den
"Ich ersuche Euer Excellenz auch bei der Leitung der
bevorstehenden Berathungen der Meinungsäußerung der Mitglieder den freiesten
Spielraum zu gewähren und die Vorlage aufrichtig nicht als eine beschlossene
Sache, sondern als einen zwar wohldurchdachten und mit der Überzeugung
seiner Zweckmäßigkeit gemachten, aber bezüglich seiner Details sowohl als
seiner Ausführbarkeit im Allgemeinen noch von den Ergebnissen der Berathung
abhängigen Vorschlag zu behandeln."
959/CUM
Erledigung der
kommissionellen Vorlagen. (Gedruckt)
Begründung
derselben an den
862/CUM
Übersichtliche Darstellung des
ganzen Vorganges an das Ministerium des Innern und die oberste
Polizeibehörde.
1080/CUM
Kritik des vom
1186/CUM
enthält den Bericht des Ministerialsekretärs
Der erste höchst [?] Bericht über die
"Sonderparthei".
1090/CUM
Note an das Polizeiministerium, worin die
Auffassung der ruthenischen Verhältnisse in dem Berichte des
Bericht nicht zurückgekommen?
Jahr 1860
1113/CUM
Note des
II.
1859
1438/CUM
Bericht des galicischen Statthaltereipräsidiums, enthaltend den
Antrag, daß für den ämtlichen Geschäftsverkehr der Gebrauch lateinischer
Schriftzeichen in ruthenischen Eingaben und Erledigungen angeordnet
werde.
Abgetreten an das Ministerium des Innern.
1860
61/CUM
Note des
III.
1859
1410/CUM
Erlaß an die galicische Statthalterei wegen Entwerfung
ruthenischer Schriftvorlagen.
Dem darin enthaltenen Auftrage ist bisher
nicht entsprochen worden.
Einwendung des
Die Kinder werden durch den Unterricht nach der
neuen Orthographie nicht befähigt kirchenslawische Bücher zu lesen.
Entgegnung: Die ruthenische Sprache bedarf nicht aller jener
Schriftzeichen, welche für das Kirchenslawische erforderlich sind.
Wenn
die Kinder ruthenisch lesen lernen, genügen ihnen die für das Ruthenische
nothwendigen Buchstaben.
Damit sie aber dennoch befähigt werden auch die
im kirchenslawischen gewöhnlichen, dem Ruthenischen fremden Buchstaben
kennen zu lernen, ist dem Bukwar eine Anleitung dazu beigegeben.
Damit
ist dem Bedürfnisse viel besser gedient, indem man gleichartiges von
ungleichartigem scheidet.
Dasselbe Bedürfnis kirchenslawisch lesen zu
lernen, waltet auch unter den Serben vor und doch ist gegen die Einrichtung
der Fibel, welche jener der ruthenischen ganz gleicht, keine Einrede erhoben
worden.
Einwendung: Die orthographischen Änderungen werden, ohne
sich zur Überlegung Zeit zu lassen, von der Commission beschlossen.
Entgegnung: Die von
Einwendung: Durch die neue Orthographie ward die ältere
ruthenische Literatur von der jüngeren geschieden.
Entgegnung: In allen europäischen Sprachen haben Änderungen der
Orthographie stattgefunden, ohne daß dadurch der vom Erzbischofe befürchtete
Nachtheil eingetreten wäre. Die Böhmen haben z. B. nicht blos die
Schreibweise, sondern auch die Schrift geändert, sind in orthographischer
Beziehung viel weiter gegangen, als es im Ruthenischen geschehen ist.
Dasselbe gilt von der deutschen Orthographie etc.
Auch die Ruhenen in
Kleinrußland haben ihre Orthographie in der letzten Zeit bedeutender
geändert, als die
Die Buchstaben, welche von der
Commission ausgeschieden wurden, sind k (ja-je), б (das Erhärtungszeichen am Ende der Worte, wo es keine
Bedeutung hat), є (je), wofür von ѥ
nach älteren ruthenischen Drucken aufnahm, und ë (io),
wofür ĭo angenommen ward, indem ĭo
jedenfalls den Laut js besser bezeichnet als ein mit zwei Punkten versehenes
ë. Endlich wurde der Buchstabe (zělo) ѯ ausgeschieden, der ohnedies von den wenigsten Schriftstellern
angewendet wird.
Zu der ruthenischen Sprachfrage
Die ruthenische Literatur, deren Entfaltung in den ersten Jahren dieses
Decenniums wir mit theilnehmender Freude begrüßt hatten, ist nun seit
einiger Zeit in einen desolaten Stillstand gerathen, dessen Fortdauer in
keiner Beziehung als gleichgiltig angesehen werden kann.
Die Ruthenen
hatten bis in die Vierziger Jahre äußerst wenige Volksschulen. Die Bildung
des Volkes und somit auch dessen materieller Zustand stand auf einer
ziemlich niederen Stufe. Seitdem wurden zahlreiche Volksschulen mit
ruthenischer Lehrsprache errichtet und die rege Theilnahme, welche
namentlich der Landmann daran nimmt, berechtiget zu den besten Hoffnungen
hinsichtlich des Gedeihens der nächsten Generation. Allein mit der
Volksschule ist die Volksbildung nicht abgeschlossen. Das heranwachsende
Geschlecht, welches bereits einen geregelten Unterricht genossen hat, bedarf
weiterer Bildungsmittel, diese kann ihm aber keine andere Literatur biethen
als die seiner Muttersprache. Auf populäre Schriften in anderen Sprachen
kann man den Landmann nicht verweisen. Ohne ein volksbildendes Schriftthum
liefert die Volksschule immer nur Erfolge, welche vergrabenen Schätzen
gleichen.
Diese Erwägung legte es besonders der
Überblickt man die ruthenische Literatur des laufenden Decenniums, so
kann es nicht entgehen, daß die Stockung von den Bestrebungen einiger
Literaten datirt, die Pflege der Volkssprache zu verdrängen, dafür aber die
großrussische Schriftsprache bei den Ruthenen einzubürgern. Die überwiegende
Mehrzahl der Gebildeten war weit entfernt diese Richtung zu billigen und die
Versuche, die wiederholt gemacht wurden, um ihre Bahn zu brechen, gingen in
Man hatte für das Ruthenische in allen wesentlichen
Stücken die hergebrachte Orthographie des Kirchenslawischen beibehalten; man
fand es ganz natürlich aus der ausgebildeten liturgischen Sprache Wörter
herüberzunehmen, ohne an die Nothwendigkeit zu denken, daß ihnen, wenn sie
anders als ruthenisch gelten sollen, jene Form gegeben werden muß, welche
den Gesetzen der ruthenischen Laut- und Wortbildungslehre zusagt. Durch
diesen Vorgang gerieth aber die ruthenische Volkssprache in Gefahr in jenen
Entwicklungsgang zu gerathen, den die großrussische Schriftsprache
durchgemacht hat.
Die großrussische Schriftsprache hat sich nicht aus
der Volkssprache allein, sondern aus dieser und der Kirchenslawischen
herausgebildet. Auch sie gebraucht eine Orthographie, welche dem
Kirchenslawischen entnommen ist.
Die Gemeinsamkeit der Orthographie im
Großrussischen, Ruthenischen und Kirchenslawischen konnte nicht verfehlen
Irrungen herbeizuführen, welche, wenn ihnen auch jede Absichtlichkeit ferne
lag, geeignet waren, die ruthenische Sprache in falsche Bahnen zu bringen.
Die Gefahr war um so größer, als es aus sehr natürlichen Ursachen, deren
Schuld am allerwenigsten den Ruthenen zugeschrieben werden kann, im
Allgemeinen an einer gründlichen Einsicht in das Wesen der eigenen
Volkssprache gebrach und das Kirchenslawische nicht nur durch den
liturgischen Gebrauch, sondern durch eine jahrhundertelange Übung heimisch
geworden ist, daß man dasselbe mit demselben Namen wie die Volkssprache
bezeichnete. Man war sich dieses Zustandes mehr weniger klar bewußt, fühlte
dessen Druck, aber war außer Stande, selbst Abhilfe zu schaffen. Da zogen es
dann die meisten Schriftsteller vor lieber ihre Arbeiten bei Seite zu legen,
als sich Vorwürfen auszusetzen, denen entgehen zu wollen, sie allerdings
Grund hatten, und es trat jener oben charakterisierte Zustand ein, welcher
unter den Ruthenen für lange Zeit hin beinahe alle literarische Thätigkeit
vernichtet haben würde.
Unter den gegebenen Verhältnissen war nur Ein
Mittel geboten um die Schwierigkeiten zu bannen und die Volkssprache in der
Literatur wieder zur vollen Geltung zu bringen, nämlich die Orthographie so
zu regeln, wie dies dem Wesen der ruthenischen Sprache zusagt. Nur dadurch
konnte man in weiteren Kreisen am raschesten die Erkenntnis verbreiten, daß
das Ruthenische eine selbständige Sprache ist und daher in seiner
Entwickelung nur jene Wege einschlagen könne, welche in seinem eigenen
Organismus und nicht in dem einer zweiten, wenn auch verwandten Sprache
vorgezeichnet sind.
Durch die Scheidung desjenigen, was nicht zusammen
gehört, kann es ferner möglich werden, auch der Kirchensprache im vollen
Maße jene Pflege angedeihen zu lassen, welche ihr die ehrwürdige Geltung im
Ritus der griechisch-katholischen Kirche zuweiset. Durch jene Scheidung kann
es endlich auch möglich werden, daß die Kirchensprache, und vor allem das
Altslowenische als die ältere Form derselben, jenen ersprießlichen Einfluß auf die Ausbildung der ruthenischen
Schriftsprache übe, welcher nicht verwehrt, sondern im Gegentheile gewünscht
werden muß.
Diese Erwägungen veranlassten das
Die Commission hat ihre Aufgabe
gelöst, die Nothwendigkeit einer Revision der ruthenischen Orthographie
nicht nur anerkannt, sondern auch beantragt und eine Reihe von grundsätzlich
wichtigen Sätzen über die Pflege der ruthenischen Sprache
festgestellt.
Wenn gleich darüber ein endgiltiger Ausspruch noch nicht
geschehen ist, so können wir doch die Überzeugung aussprechen, daß die
fragliche Verhandlung, weit entfernt die ruthenische oder die kirchen-
[...]
*1823
seit 1848 Gattin von Agenor Goluchowski
erwähnt in
Dechant in Zolkiew
erwähnt in
Wien 1830–1916 Wien
1848–1916 Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn
https://d-nb.info/gnd/118535013
erwähnt in
erwähnt in
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erwähnt in
Urmań 1810–1869 Lemberg
ab 1848 Pfarrer in der griech.-kath. Pfarre St. Barbara, ab 1852 Rektor des griech.-kath. Zentralseminars in Wien, ab 1857 Weihbischof und Suffragan des Lemberger Erzbischofs, ab 1863 Metropolit von Lemberg
erwähnt in
erwähnt in
Tetschen 1811–1888 Wien
1848 Gubernialpräsident von Böhmen, 1849–1860 Minister für Kultus und Unterricht, ab 1861 Mitglied des Herrenhauses, Herausgeber der Zeitung "Das Vaterland"
https://d-nb.info/gnd/118757393
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Direktor des Gymnasiums in Lemberg, ab 1850 Schulrat und Gymnasialinspektor in Lemberg
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Rudlevo 1817–1901 Innsbruck
ruth. Aktivist, Kämpfer für eine ruthenische Autonomie
https://d-nb.info/gnd/1037007565
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Vorsteher des Basilianerklosters in Kréchow
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Provinzial im Jesuitenorden in Lemberg
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Czepiele 1814–1888 Russland
ab 1849 Prof. der ruthenischen Sprache und Literatur an der Universität Lemberg
https://d-nb.info/gnd/1033316865
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Pokucie 1774–1858 Univ
1813–1816 griech.-kath. Bischof von Przemysl, ab 1815 Erzbischof von Lemberg und Metropolit von Halicz
https://d-nb.info/gnd/117670634
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Tarnawacz 1805–1860 Lemberg
Schriftsteller und Bibliothekar in der Ossolinskischen Bibliothek in Breslau
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Skala Podolska 1812–1875 Lemberg
1849–1859 Statthalter von Galizien, 1859–1860 Minister des Innern
https://d-nb.info/gnd/11676516X
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1853 Lehrer am Obergymnasium in Sambor
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Senigallia 1792–1878 Rom
Papst von 1846–1878
https://d-nb.info/gnd/118594729
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Lehrer am Gymnasium in Lemberg, ab 1861 prov. Direktor am Gymnasium in Tarnopol
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Hohenmauth 1825–1888 Prag
1850 Berufung ins Ministerium für Kultus und Unterricht, 1850–1852 Herausgeber der „Vídenský denník“ (Wiener Tagblatt), ab 1859 Ministerialsekretär für die Mittelschulen in Böhmen und anderen slawischen Ländern der Monarchie, ab 1867 Sektionsrat, ab 1869/70 Ministerialrat, Feb.–Ende Okt. 1871 Minister für Kultus und Unterricht
https://d-nb.info/gnd/119224178
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Maniawa 1806–1885
Hofrat in Lemberg, 1859–1861 Leiter der Statthalterei in Galizien
https://d-nb.info/gnd/131771329
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Tuczapy 1822–1896
Lehrer für Humaniora an Gymnasien in Tarnow und Lemberg, ab 1850 Schulrat und Gymnasialinspektor für Ostgalizien und die Bukowina, ab 1860 für Westgalizien, 1859–1892 Prof. für Philosophie an der Universität Lemberg, 1864–1868 Schulinspektor für Steiermark und Kärnten, ab 1868 Landesschulinspektor für Galizien
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rumän. griech.-kath. Priester, bis 1857 Religionslehrer am akademischen Gymnasium in Lemberg, ab 1858 Domherr und Dompfarrer in Lemberg
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1818–1890 Lemberg
polnischer Adeliger, Mitglied des ständischen Landesausschusses von Galizien, ab 1861 Mitglied des Landtags von Galizien und Lodomerien)
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